Lady Helenes skandaloeser Plan
nicht sehen konnten, wie Lady Felicia Saville an seinem Arm hing. Diese hatte ihren Umhang abgelegt, und ihr Mieder war so weit heruntergerutscht, dass es fast schamlos zu nennen war.
Mayne war enttäuscht, weil er um seine Rache gekommen war. Er hatte sehen wollen, wie Helene erschrocken die Augen aufriss. Das sollte ihr zeigen, dass er es nicht nötig hatte, einen Monat zu warten.
Er wollte ihr zeigen, dass er ihr von Anfang an misstraut hatte. Helene mit ihrem Geschwafel über die Freundschaft zu ihrem Ehemann! Als ob er ihr das jemals abgenommen hätte! Der Earl von Mayne ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen.
Doch erst, als er fachmännisch, wenn auch lustlos Lady Felicias Reize kostete, ging ihm auf, wie er Helene Godwin begreiflich machen konnte, dass er ihr weder geglaubt noch jemals erwogen hatte, auf sie zu warten, bis sie das Haus ihres Mannes wieder verließ.
»Felicia?«, sagte er mit einer samtigen und zugleich teuflischen Stimme.
»Ja?«, erwiderte sie recht kühl und gelassen. Die gute Felicia hatte zu ihrem Bedauern feststellen müssen, dass der berühmte Earl von Mayne weitaus weniger betörend war, als sie geglaubt hatte. Wie so oft im Leben war die Wirklichkeit, besonders in Bezug auf Männer, recht enttäuschend.
»Ich habe heute eine äußerst bestürzende Neuigkeit vernommen«, flüsterte er ihr ins Ohr, während er ihr Mieder hochzog.
»Ach nein, welche denn?« Sofort war Felicia Feuer und Flamme.
Also berichtete er. Während ihre Augen größer und größer wurden, zog er sie vom Boden hoch und bürstete einige Blätter vom Rücken ihres Umhangs. Dann schlenderten sie gemächlich zurück zu den beleuchteten Teilen des Parks.
Denn Mayne wusste so gut wie jeder Gentleman, dass seine Pflicht an diesem Abend darin bestand, Felicia überallhin zu begleiten, ihr süße Nichtigkeiten ins Ohr zu flüstern und allen Bekannten zu demonstrieren, dass sie seine Erwählte war.
Und Felicia wusste ebenso gut, worin ihre Pflicht bestand: Vor Hast, zu ihren Freundinnen zu kommen, verfiel sie beinahe in Laufschritt.
»Das kann ich einfach nicht glauben!«, sagte sie immer wieder. »So etwas habe ich ja noch
nie
gehört!«
Garret Langham, der Earl von Mayne, lächelte befriedigt auf sie herab. Wäre Felicia mit mehr Scharfsinn begabt gewesen, dann hätte sie das mörderische Glitzern in seinen Augen bemerkt.
Niemand reizte Mayne ungestraft.
Absolut niemand.
32
Es muss nicht immer die leibliche Mutter sein
»Ich weiß nicht, ob es gut war, dass wir Meggin mitgebracht haben«, flüsterte Lina, als sie mit Tom und Meggin am nächsten Morgen in der Halcrow Street einer Droschke entstieg. »Was sollen wir bloß tun, wenn sie enttäuscht wird?«
»Wenn Mrs Fishpole hier ist, wird sie sie sehen wollen«, versicherte Tom wieder einmal. »Und schau dir Meggin doch nur an!«
Meggin war vollkommen verwandelt, seit sie ihr nach dem Frühstück gesagt hatten, sie würden Mrs Fishpole suchen. Sie trug eine entzückende Schürze über ihrem Kleid und eine passende Pelisse. In der Hand hielt sie immer noch Linas Pelzstola, obwohl es für dieses Kleidungsstück viel zu warm war. Doch nicht ihre äußerliche Erscheinung drückte die Verwandlung aus, es waren vielmehr ihre leuchtenden Augen und ihre kleine Gestalt, die nicht still zu sitzen vermochte.
Halcrow Street musste zu dem Teil Londons gehören, wo die Färber zu Hause waren, denn überall standen große Wannen mit blubberndem rötlichem oder bläulichem Wasser, und Frauen tunkten ganze Ladungen alter Kleider hinein. Immer, wenn ein Bündel ins Wasser getaucht wurde, verpuffte eine erstickende Wolke farbigen Dampfes und verpestete die Luft, die bereits vom Gestank faulenden Gemüses und Pferdemists geschwängert war.
Mrs Fishpole war nicht schwer zu finden. Ein alter Mann, der behaglich in der Sonne döste, nickte zur anderen Straßenseite hinüber. »Sie is in Nummer zweiundvierzig«, sagte er. »Obwohl ich hab gehört, dass sie aus London weggehen will nach woanders. Ich weiß aber nich, sie könnte schon weg sein.« Dann bedankte er sich artig bei Tom und steckte die empfangene Münze in eine Innentasche seiner Joppe.
Sie stiegen drei Treppen bis zur Dachstube hoch. Meggin umklammerte ängstlich Linas Hand. Lina ertappte sich zum ersten Mal seit Jahren dabei, dass sie ein Stoßgebet gen Himmel schickte. »Gib, dass sie da ist«, flehte sie die schweigende Wesenheit an, die sie früher einmal gekannt, aber zugleich mit der Kindheit
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