Lady Helenes skandaloeser Plan
Frivolitäten in Unordnung bringen.« Helene erhob sich und stellte sich wieder vor den Spiegel. »Meinst du wirklich, ich dürfte darunter kein Korsett tragen?«
»Ja, das meine ich.«
»Und was soll ich mit meinem Haar anfangen?«
»Warum trägst du es nicht offen?«
»Meine Frisur ist furchtbar unmodern«, sagte Helene zweifelnd. Sie zog einige Nadeln aus ihrem Haar und löste die Zöpfe. Als sie damit fertig war, fiel ihr Haar wie ein schimmernder Wasserfall bis zu ihren Beinen herab.
»Meine Güte!«, sagte Esme mit schwacher Stimme. »Es ist wirklich sehr lang, nicht wahr?«
»Mit Zöpfen ist die Länge zu handhaben.«
»Es ist herrlich!«
»Rees hat mein Haar immer geliebt«, sinnierte Helene und kniff bei der Erinnerung wütend die Augen zusammen. »Wahrscheinlich das Einzige, was er an mir geliebt hat. Er …« Sie unterbrach sich. »Ich werde es abschneiden.«
»Abschneiden?«, wiederholte Esme fassungslos. Helenes hochgetürmte Zopffrisur war ein wesentlicher Bestandteil ihrer anmutigen, königlichen Erscheinung.
Helene nickte eifrig. »Alles.« Sie zog ihre Hand durch die Haarflut, die wie gesponnenes Gold herabfiel. »
Jetzt
.«
»Was?«
»Madame Rocque wird doch gewiss eine Schere besitzen«, fuhr Helene unbeirrt fort. Sie stieß die Tür auf. Madame hatte ein Mädchen im Korridor postiert. »Hol mir eine Schere!«, rief sie dem Mädchen zu, das erschrocken aufsprang, um das Gewünschte zu holen.
»Nein!«, keuchte Esme entsetzt. »So etwas will gut bedacht sein. Wir schicken einen Diener zu Monsieur Olivier und lassen für heute Nachmittag einen Termin vereinbaren!«
Helene riss dem Mädchen die Schere aus der Hand.
»Du!«, rief Esme der Verkäuferin zu, die wie angewurzelt dastand und mit offenem Mund die Freundin anstarrte, die sich die Haare abschneiden wollte. »Schickt jemanden zu Monsieur Olivier in der Bond Street Nummer zwölf. Bittet ihn, unverzüglich herzukommen, und richtet ihm ergebensten Dank von Lady Bonnington aus. Sagt ihm, es warte eine Herausforderung auf ihn. Hast du das verstanden?«
Das junge Mädchen sauste los.
In dem Augenblick, als Esme sich wieder Helene zuwandte, fielen bereits die ersten langen Flechten zu Boden. Und Helene schnippelte bereits eifrig an der nächsten Partie herum.
»Herrje«, stöhnte Esme. »Du machst auch niemals halbe Sachen, stimmt’s?«
»Warum sollte ich?«, gab Helene zurück. Sie sah nicht länger wie eine eisige und unnahbare Königin aus, sondern wie ein aufsässiges Milchmädchen. »Wozu nützt mir diese Haarpracht? Weißt du, mir ist gerade klar geworden, dass ich es nie geschnitten habe, weil ich in meiner Dummheit immer nur daran gedacht habe, dass Rees mein Haar mochte. Rees, der gerade seine
inamorata
heimgezerrt hat, damit er sich mit ihr am helllichten Tag vergnügen kann?
Rees? Zur Hölle mit Rees!
«
»Helene!«, keuchte Esme erschrocken. Dies musste der erste Fluch sein, der jemals über Helenes Lippen gekommen war.
»Und zur Hölle mit den anderen!«, fuhr Helene zornig fort, während sie die Schere schwang. »Ist mir doch gleich, wie die Männer mein Haar finden! Alles, was ich von ihnen will, ist ein wenig Beteiligung. Ein wenig Mitarbeit!« Sie schnitt die letzte Strähne ab und schleuderte sie auf den Boden. »So! Was hältst du davon?«
Helenes Haare standen von ihrem Kopf ab wie Stoppeln auf einem abgeernteten Feld. Sie schüttelte ihn und grinste wie närrisch. »Oh, Esme, wie gut sich das anfühlt, dieses Gewicht los zu sein! Ich hatte ja keine Ahnung! Sonst hätte ich es schon vor Jahren abgeschnitten.« Einen Augenblick später zog sie Madame Rocques Kleid über den Kopf und begann, ihr Korsett aufzuschnüren. Es fiel zu Boden, gefolgt von ihrer Chemise. Dann zog sie das Kleid wieder an.
Keine zehn Minuten später wurde laut an die Tür geklopft, und Monsieur Olivier betrat das Zimmer. Er war ein kleiner, rundlicher, sehr französischer Mann. Sein Haar war mit Pomade eingefettet und so gekämmt, dass es sich in einer Welle über seiner Stirn erhob.
»Wo ist die ’erausforderung?«, begann er, doch seine Stimme erstarb, als er Helene gewahrte.
Wenn jemand den Schaden beheben konnte, den Helene ihren Haaren angetan hatte, dann war es Monsieur Olivier.
Er trat auf Helene zu, wobei er behutsam eine lange Flechte mit der Stiefelspitze aus dem Weg schob. »Verstehe ich recht, dass Sie diese Gewalttat selbst verübt haben, Mylady?«
Helene warf den Kopf so heftig zurück, dass die zerzausten Stoppeln
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