Lady Helenes skandaloeser Plan
aber den Mund. Weder der Earl noch ihr Onkel hatten die leichten braunen Verfärbungen an Lord Godwins Manschetten bemerkt, und sie wollte ihr Glück nicht überstrapazieren.
9
Eine Handlung, die großen Mut beweist
Lady Hamiltons Ball,
gegeben zu Ehren ihrer Tochter Patricia
am Grosvenor Square Nummer 41
Im Leben jeder Frau gibt es Augenblicke großer Tapferkeit, und Helene hatte den Schilderungen ihrer Freundinnen entnommen, dass Geburten dazugehörten. Sie selbst hatte im Alter von siebzehn Jahren einen außergewöhnlich törichten Akt der Tapferkeit begangen, als sie einwilligte, mit dem Erben des Godwinschen Titels durchzubrennen. Sonst hatte es in ihrem Leben kaum Anlass gegeben, Courage zu beweisen. Bis zum heutigen Abend.
Noch nie war Helene so von Angst erfüllt gewesen wie in dem Moment, als sie ihre Pelisse abstreifte und Lady Hamiltons Lakai gab. Da stand sie – praktisch entkleidet in der Vorhalle von Lady Hamilton. Die Tür hinter ihr schwang auf, und ein Windstoß fuhr geradewegs durch die zwei Lagen dünner Seide. Helene spürte die Kälte am ganzen Körper, an Stellen, wo sie normalerweise nie Zugluft verspürte, beispielsweise am Gesäß. Jetzt konnte sie nur noch eines tun, nämlich der Herausforderung hocherhobenen Hauptes ins Auge blicken.
Sebastian Bonnington hakte sie unter. »Mut!«, sprach seine tiefe Stimme. Dann schaute er sie so bewundernd an, dass Esme ihm einen Rippenstoß versetzte und lachend sagte: »War das nicht klug von mir, Helene schon vorher zu mahnen, dass sie sich von dir fernhält?«
Doch nun wandte sich Sebastian Esme zu, und in dem Blick, mit dem er seine schöne Frau betrachtete, lag weit mehr als bloße Bewunderung. Er streifte ihre Lippen mit einem Kuss voller Leidenschaft, der Helene erröten ließ. Schon der Anblick dieses Kusses stachelte Neid in ihrem Herzen auf und ließ im Magen ein seltsam flatterndes Gefühl entstehen.
Lady Hamiltons Butler kündigte sie im Saal an. Helene hatte das deutliche Gefühl, eine Betrügerin zu sein und im Grunde einen neuen Namen zu brauchen. War sie wirklich noch Lady Godwin, die züchtige, verschlossene Lady Godwin? Zunächst jedoch schien der Unterschied niemandem aufzufallen. Lady Hamilton war so nervös wegen des ersten Balles ihrer Tochter, dass sie lediglich Helenes neue Frisur bemerkte und flüsternd lobte, das Kleid jedoch gar nicht wahrnahm.
Doch allmählich verbreitete sich die Neuigkeit. Helene vermeinte zu sehen, wie sie sich in Wellen durch den Ballsaal ausbreitete. Sie tanzte einen Ländler mit Major Kersting. Doch sie, die immer so ungezwungen miteinander umgegangen waren, fühlten sich nun gehemmt. Er zwirbelte unaufhörlich seinen schmalen Schnurrbart, und als nach dem Ländler nicht weniger als drei Gentlemen um die Gunst des nächsten Tanzes baten, suchte er erleichtert das Weite.
Helene war es noch nie widerfahren, dass sich für den nächsten Tanz mehr als ein Bewerber anmeldete. Die Freude, gleich drei Gentlemen als Bittsteller zu sehen, stieg ihr zu Kopf wie Wein. Leider stand keiner der drei auf Esmes Liste. Lord Peckham kam zudem gar nicht infrage. Er war verheiratet, auch wenn er diese Tatsache weitgehend zu ignorieren trachtete. Helene würde sich nie dazu hergeben, Lady Peckham denselben Kummer zu verschaffen, den sie zu erleiden gehabt hatte. Daher übersah sie ihn mit kühlem Blick und reichte ihre Hand Lord Ussher. Der war zwar ein wenig jünger, als ihr lieb war, aber vielleicht besaß er deswegen umso röteres Blut.
Doch gegen Ende des Tanzes hatte sie sich beinahe schon gegen Lord Ussher entschieden. Zum einen hatte er unangenehme Schwitzhände. Außerdem schien er von ihrem Kleid überwältigt zu sein, denn er starrte immer wieder an ihr herunter, um sodann den Blick von ihrer Figur loszureißen und ihn wieder auf ihr Gesicht zu heften, als wäre er ein Verhungernder, dem man eine Aprikosenschnecke vor die Nase hielt. Wobei
Schnecke
hier das angemessene Wort war, wie Helene fand. Am schlimmsten war jedoch, dass er den Takt nicht halten konnte und ihr wiederholt auf die Zehen trat.
Als die Musik verstummte, sah sich Helene nicht etwa drei, sondern gleich
sieben
Gentlemen gegenüber, die um den nächsten Tanz ersuchten. Sie umdrängten sie, Braunäugige wie Blauäugige, Junge wie Alte: Mr Cutwell war doch gewiss schon zu alt? Helene lächelte höflich in die Runde und überlegte verzweifelt, was sie über jeden gehört hatte. War einer der Herren ein Musikliebhaber? Wie konnte sie das in
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