Lady Helenes skandaloeser Plan
Erfahrung bringen? Vermutlich konnte sie es nur herausfinden, indem sie mit jedem tanzte und diejenigen aussonderte, die ihr auf die Füße traten.
Aufs Geratewohl reichte sie ihre Hand dem Ehrenwerten Gerald Bunge. Als der Tanz wenige Minuten später beendet war, wartete bereits eine Verehrerschar, die an jene von Esme in ihren beliebtesten Zeiten heranreichte. Diesmal fiel Helene die Wahl jedoch nicht schwer. Denn während sie den Gentlemen freundlich zulächelte und ihre Verneigungen mit einer ganz leichten Neigung des Kopfes zur Kenntnis nahm, schob Garret Langham, der Earl von Mayne, die anderen Männer so mühelos beiseite, als wären sie gar nicht vorhanden.
Mayne hatte Helene nie auch nur die geringste Aufmerksamkeit bezeugt. Nun jedoch kam er auf sie zu, als wären sie alte Bekannte. Er war der Inbegriff eines Londoner Stutzers: Seine glänzend gebürsteten Locken fielen auf den hohen Kragen, seine Pantalons saßen eng an den kräftigen Oberschenkeln, und in seinen Augen stand ein verschlagener Ausdruck von Lachen und Begehren. »Lady Godwin«, sagte er leichthin, während er ihr die Hand hinhielt, »ich glaube, dies ist unser Tanz.«
Und zu Helenes Überraschung gab sie durchaus nicht willig ihr Einverständnis, sondern musterte ihn mit erhobenen Brauen vom Scheitel bis zu den glänzenden Stiefeln. Diesen Blick hatte sie früher oft bei Esme gesehen, und sie hätte nie erwartet, dass sie ihn selbst einmal anwenden würde. Doch das kam ihr nun ganz selbstverständlich vor. Es war der hochmütige Blick einer Frau, die von Männern bestürmt wurde, weil sie alle nach etwas ganz Bestimmtem lechzten. Nach einem Tanz zum Beispiel. Oder nach einer Gelegenheit, sie aus dem Ballsaal fortzulocken.
Mayne ließ sich mustern, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wartete, während ein leises Lächeln seine Lippen umspielte, ein siegesgewisses Lächeln, als hätte er immer schon gewusst, dass er ihr Tanzpartner sein würde, und als hätte er nur darauf gewartet, dass sie endlich ihr Korsett ablegte, damit sie seiner würdig sei.
Helene verhärtete ihr Herz. Er dachte also, er könnte sie so einfach
bekommen
? Nun ja, das konnte er auch. Aber zu
ihren
Bedingungen!
Sie trat einen Schritt vor, und das Kleid schmiegte sich an ihre Beine. Die anderen Männer schienen bei diesem Anblick dahinzuschmelzen. »Lady Hamilton besitzt ein ausgezeichnetes Broadwood-Klavier«, sagte sie und schenkte Mayne ein anzügliches Lächeln aus Esmes Repertoire. Sie hatte ja in den letzten fünf, sechs Jahren genug Anschauungsunterricht gehabt. »Würden Sie mich in das Musikzimmer begleiten? Ich würde gern … eine
Melodie
spielen.« Sie schlug die Augen nieder und sah ihn durch ihre Wimpern an.
Mayne wirkte nicht die Spur überrascht. »Es wäre mir ein Vergnügen«, erwiderte er und bot ihr seinen Arm.
Wahrlich, Männer waren ja so leicht zu verführen, wenn man dies so nennen konnte. Im vergangenen Frühling hatte sie Mr Fairfax-Lacy mit einem Gedicht in ihr Schlafgemach gelockt. Natürlich war die Angelegenheit dann nicht nach Plan verlaufen, aber die Einladung selbst war vollkommen mühelos gewesen.
Mayne war ebenso empfänglich wie Mr Fairfax-Lacy. Sie schlenderten in das Musikzimmer, er schloss die Tür hinter ihnen, und sie lehnte sich an das glänzende Klavier.
Würde er sich jetzt auf sie stürzen? Nein, er ging erst zu einer Kredenz und schenkte ihnen beiden ein Glas Wein ein.
Als er es ihr reichte, sagte er: »Lady Godwin, Sie sehen in diesem Kleid hinreißend aus.«
»Danke schön«, erwiderte sie.
Und dann begann er sie zu küssen. Es war alles wirklich ganz mühelos.
Fünf Minuten später fuhr er mit einem Finger spielerisch ihren Hals entlang und hielt am Saum ihres Mieders inne. Der Finger fühlte sich glühend heiß an, als brenne er eine Feuerspur in ihre Haut. Helene leerte ihr Glas, und Mayne schenkte sogleich nach. Dann tauchte er seinen Finger in das Glas und berührte ihre Kehle. Helene riss die Augen auf, als sie spürte, wie sein nasser Finger unter die zarte Seide ihres Mieders glitt.
»Ich würde Sie mit Freuden nach Hause begleiten«, sagte er, und seine Augen blitzten.
»Nach Hause?«, wiederholte Helene. Das Zuhören fiel ihr ein wenig schwer. Denn seine Spielchen mit dem Wein fesselten sie – einerseits. Andererseits (zum Teufel mit ihrem Sinn fürs Praktische!) hoffte sie, dass er keine Flecken auf ihr Kleid machte. Denn sie gedachte es noch oft zu tragen.
»Ja, nach Hause«, lächelte Mayne.
Weitere Kostenlose Bücher