Lady Helenes skandaloeser Plan
weißen Hemd denken.
Helene stellte überrascht fest, dass sie doch Hunger hatte. Sie platzierte den Teller mit kaltem Huhn auf ihren Knien und bemühte sich, es mit der Gabel zu zerlegen.
»Mach dir doch nicht so viel Mühe«, sagte Rees träge. Er lag auf der Seite und machte den Eindruck, als ob er sich auf diesem Bett aus Blumen wesentlich wohler fühlte als in jedem noblen Salon. »Iss doch einfach, Helene.«
Sie sah ihn verächtlich an. »Ich esse nicht mit den Fingern. Diese Gewohnheit habe ich bereits in der Kinderstube abgelegt.«
»Wer sieht dich denn? Hier sind nur wir beide, und wir sind bloß ein altes Ehepaar.«
Altes Ehepaar
klang nach Wohlbehagen und Ungezwungenheit, doch davon spürte sie in Rees’ Nähe nichts, sondern vielmehr ein prickelndes Gewahrsein seines Körpers. Er hatte seinen Rock abgelegt, die Hemdärmel hochgekrempelt und einen braunen Arm viel zu nahe an sie herangeschoben. »Es kommt mir vor, als würdest du ständig Kleidung ablegen«, schalt sie und musterte ihn ausgesprochen feindselig. Wie konnte er sich nur so ungezwungen fühlen, während sie selbst so überhitzt und hungrig war? Selbst ihr leichtes blaues Jäckchen kam ihr in der heißen Sonne zu warm vor.
Statt etwas zu erwidern, setzte er sich auf. Helene wich zurück. Rees in so kurzer Entfernung war einfach zu überwältigend. »Da«, sagte er nur und hielt ihr den Hähnchenschenkel an die Lippen.
»Ich kann nicht!« Doch sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ihr Magen knurrte vernehmlich.
Rees lachte. »Na los doch! Niemand wird dich sehen.«
»Aber du«, sagte sie störrisch.
»Ich zähle nicht.« Er sah sie eindringlich an. »Das soll doch, wie ich gehört habe, einer der Vorteile der Ehe sein.«
Helene biss vorsichtig von dem Schenkel ab. Das Fleisch war herrlich zart und verströmte ein leichtes Zitronenaroma. »Es ist köstlich«, gab sie zu und biss noch einmal hinein.
»Ich zahle meiner Köchin ja auch ein sehr gutes Gehalt«, sagte Rees, riss einen kleinen Streifen Fleisch ab und hielt ihn ihr vor den Mund.
Seine Stimme klang dunkel und samtig, und der Knoten in Helenes Magen schwoll ein wenig an.
Doch Rees rückte nun von ihr ab. »Mir ist die Idee gekommen, den zweiten Akt nicht im Puritaner-Dorf spielen zu lassen, sondern bei Hofe«, erzählte er. »Die Prinzessin hat nämlich ihren Geliebten, Hauptmann Charteris, zurückgelassen. Mir ist nun die Idee für eine Nebenhandlung gekommen, in der der Hauptmann von einer anderen Frau umworben wird.«
»Der Hauptmann wäre also die Zentralfigur dieses Aktes?«
Rees nickte. »Ich habe an ein Solo für einen Tenor gedacht. Der Text stammt aus dem Solo, das Fen für das kleine Quäkermädchen geschrieben hat, das in den Prinzen verliebt ist.«
»Ich weiß nicht, wie du all diese Liebenden auseinanderhältst«, bemerkte Helene belustigt.
»Mal sehen, was du davon hältst.« Und damit hob er an zu singen. »
Liebste, du bist die schönste Blase/Die man findet im goldenen Wein/Liebste, du bist Schaum von einem wunderbaren Traum/Töricht und lieb und so rein!
« Rees hatte eine warme Baritonstimme, die Helene beinahe so trunken machte wie der Brandy, den sie am Vorabend zu reichlich genossen hatte. Und die Melodie war wunderschön: eingängig, töricht und zweifellos herzerwärmend.
Helene stellte ihren Teller fort und lehnte sich zurück, stützte sich auf die Hände. Rees schaute sie beim Singen an, und sie wurde etwas nervös, deshalb schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf den Gesang. Er benutzte zu viele Glissandi. Diese gezogenen Töne würden in der Tenorstimmlage kitschig klingen, wenngleich sie in Rees’ warmem Bariton wunderbar klangen. Doch da sie nun nicht mehr die Notwendigkeit sah, Rees mit ihrer Klugheit zu beeindrucken, wollte ihr kein weiterer Kritikpunkt einfallen.
»
Kommt mit mir, kommt, kommt zum Ball
«, sang Rees. Die Sonne schien angenehm warm auf Helenes Augenlider. »
Blumen und Liebschaften verwelken schnell/Kommt in all eurer Schönheit, schön wie die Rose … Zum Ball! Zum Ball!
« Eine fein abgestimmte Dringlichkeit lag in seiner Stimme, in den Noten … Es war die Mahnung einer Sirene: Wer den Ball verpasste, der versäumte auch das Leben und die Liebe und mithin alles, was golden und schön war.
Helene musste einen Kloß im Hals hinunterschlucken.
Jetzt war Rees bei der Coda angelangt. Er sang nun tiefer und langsamer, beinahe schläfrig, und dennoch lag noch die gewisse Dringlichkeit in seiner Stimme:
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