Lady Lavinias Liebestraum
Henry verstarb leider im darauffolgenden Jahr, und daher wurde ich Erbe. Nach Henrys Beerdigung kehrte ich nicht nach Cambridge zurück, um bei meinem Großvater zu bleiben, bis auch er, Gott hab ihn selig, dieses Frühjahr das Zeitliche segnete.”
Lavinia nickte. “Ich verstehe. Während Ihrer Studienzeit sind Sie kein einziges Mal hier gewesen?”
“Nein, wie ich bereits sagte, weilte ich nicht lange in Cambridge. Meine letzte Reise nach London muss eine Ewigkeit her sein. Ich kann mich nicht einmal an das Jahr erinnern.”
“Dann hat die Stadt sich für Sie bestimmt sehr verändert, nicht wahr?”
“Oh ja. Es wird offensichtlich viel gebaut in letzter Zeit. Einige Straßen habe ich nicht wiedererkannt. Besonders gut gefällt mir die Begrünung in der Innenstadt, die vielen Bäume, aber auch die moderne Straßenbeleuchtung, die Gaslaternen.”
“Ja, dafür sind wir wohl Seiner Majestät zu Dank verpflichtet.”
“Mir sind durchaus einige Karikaturen von ihm in die Hände gefallen in Cumberland, doch das Ausmaß der Missachtung durch seine Untertanen ist mir erst bei meiner Ankunft hier klar geworden.”
“Nicht das ganze Volk ist gegen ihn”, berichtigte sie. “Aber ein großer Teil macht sich – wohl zu Recht – lustig über ihn. Er ist ja so ungemein fettleibig.”
“Ich sah gestern die Königin die Mountstreet hinunterfahren, begleitet von vielen Menschen, die ihr zujubelten. Ich vermochte die Straße erst zu überqueren, als die Kutsche außer Sichtweite war.”
“Das wird wohl eine ganze Weile so weitergehen, solange Ihre Majestät sich unter das Volk mischt”, seufzte Lavinia. “Wenn Mama nicht meine Unterstützung bräuchte, würde ich augenblicklich auf unseren Landsitz in Derbyshire zurückkehren.”
“Ich hoffe inständig, dass die Duchess Sie noch recht lang in Beschlag nimmt, denn ich würde sehr gern meine Bekanntschaft mit Ihnen vertiefen.”
Lavinias Wangen färbten sich tiefrot. “Wirklich?”
“Wenn ich erst einmal eine Kutsche gemietet habe, möchte ich Sie gern zu einer kleinen Ausfahrt einladen.”
Lavinia lachte plötzlich. “Etwa um sieben in der Früh?”
“Natürlich nicht! Das wäre höchst unschicklich. Wenn ich nicht wüsste, dass Sie außerstande sind, unhöflich zu sein, müsste ich annehmen, Sie machten sich lustig über mich.”
“Nichts läge mir ferner, Mylord. Ich bitte um Verzeihung – ich habe mich so daran gewöhnt, mit James in dieser Art zu reden, dass es mir schwerfällt, mich zu beherrschen. Ich war in der Tat unhöflich zu Ihnen. Verzeihen Sie mir vielmals.”
“Wie könnte ich Ihnen nicht verzeihen?”, erwiderte er mit einem steifen Lächeln. “Ich würde vorschlagen, dass wir einen kleinen Ausritt in den Hydepark unternehmen, und zwar zur angemessenen Stunde – sagen wir gegen halb elf morgen Vormittag.”
“Achten Sie immer so genau auf die Etikette, Mylord?”, fragte Lavinia, wobei sie stark an sich halten musste, um nicht zu schmunzeln.
“Ich bin ein Fremder in Ihrer Mitte, Mylady. Ich kann es mir nicht erlauben, die Regeln zu ignorieren, solange ich mich nicht im
ton
etabliert habe. Und auch dann werde ich ich größte Umsicht walten lassen, denn ich möchte nicht die verletzen, die mir teuer sind.”
“In diesem Fall werden Sie bestimmt die Duchess of Loscoe um Erlaubnis bitten wollen, mich auszuführen. Papa ist dieser Tage nämlich leider nicht oft daheim.”
“Das werde ich tun, sobald Sie mir Ihre Zustimmung gegeben haben”, sagte er mit leuchtenden Augen.
“Die haben Sie, Lord Wincote. Ich würde mich sehr freuen, mit Ihnen auszureiten.”
“Lady Lavinia, Ihr ergebener Diener.”
Lavinia wandte sich ab und erblickte zu ihrer Linken Mr. Benedict Willoughby, den Sohn ihrer Gastgeberin. Obgleich sie den jungen Mann nicht leiden konnte – er hatte vor einiger Zeit mit größter Beharrlichkeit und Plumpheit versucht, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen –, fragte sie auch ihn, ob er nicht eine Rolle in ihrem Theaterstück übernehmen wolle. Trotz der Bemerkung, sie beabsichtige wohl, sich auf seine Kosten zu amüsieren, stimmte er zu, wie auch einige Gäste bei Lady Willoughby sich geneigt zeigten, ihr Vorhaben zu unterstützen.
Gerade in dem Moment, als James sich zu ihr gesellte, kehrte Wincote sichtlich zufrieden zu ihr zurück. “Mylady, Ihre Gnaden war so freundlich, uns ihre Erlaubnis zu erteilen, vorausgesetzt natürlich, dass uns eine Chaperone begleiten wird.”
“Guten Abend, Lavinia, Lord Wincote.
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