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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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erwiderte Kluftinger verwirrt.
    »Das ist türkisch und heißt ›Guten Appetit‹«.
    »Oh, äh … danke, ich meine … merhaba.«
    »Das bedeutet ›Guten Tag!‹ Aber trotzdem danke.«
    Kluftinger errötete. Er war sich sicher gewesen, mit seinem Brocken Türkisch ins Schwarze zu treffen.
    »Der gute Wille zählt, Herr Kluftinger«, sagte Yildrim, der seine Gedanken offenbar erraten hatte. Dann hob er seinen Pappbecher, stieß mit Kluftinger an und sagte: »Serefe.«
    »Au so viel!«, entgegnete der Kommissar und beide grinsten.
    Eine Weile saßen sie schweigend da, aßen ihre Pizza und beobachteten das Treiben im Konferenzsaal. Als Kluftinger zu dem Task-Force-Leiter hinunterblickte, bemerkte er, dass der die Salami von der Pizza herunterklaubte, bevor er hineinbiss.
    »So, ist das jetzt ›Pizza Agnostica‹, oder wie?«, sagte der Kommissar mit einem schiefen Lächeln.
    Yildrims Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Immer noch besser als Ihre ›Pornografica‹!«
    Einen Moment war Kluftinger baff, dann brach er in derart schallendes Gelächter aus, dass er Mühe hatte, sich nicht zu verschlucken. Yildrim stimmte in das Lachen mit ein, und Kluftinger spürte die gleiche Vertrautheit wie bei ihrer gemeinsamen Autofahrt nach Bregenz. Deswegen rückte der Kommissar auch mit einer Frage heraus, die ihn seit gestern beschäftigte: »Wie … geht’s Ihnen eigentlich?«
    Yildrim zog die Augenbrauen zusammen: »Sehe ich müde aus?«
    »Nein, ich mein … naja, wegen der Sache halt … wegen dem Mord … äh, Unfall, mein ich.«
    Der Blick des dunkelhäutigen Mannes verfinsterte sich. Er dachte ein paar Sekunden nach, dann antwortete er: »Sie haben noch nie jemanden erschießen müssen?«
    »Nein, noch nie. Der Hefele einmal. Diesen Hund …«
    »Ein sehr böser Mensch?«
    »Wie bitte?«
    »Weil Sie Hund sagen.«
    »Ach so. Ich mein auch Hund. Hund im Sinne von … Hund.«
    »Ihr Kollege hat einen Hund erschossen? War das ein Drogenkurier?«
    Kluftinger grinste. Er mochte den Humor des Task-Force-Leiters.
    »Nein. Ist noch gar nicht so lange her. Ist bei einem Einsatz auf mich losgegangen, und der Hefele hat mich gerettet.« Kluftinger schien sich zu besinnen, dass das nun wirklich keine Antwort auf Yildrims Frage gewesen war. »Also: nein, ich hab noch nie jemanden erschossen. Gott sei Dank …« Wieder stockte der Kommissar.
    »Dann ist Ihre Frage natürlich verständlich.«
    Beide bissen in ihr Pizzastück.
    »Und?«, nahm Kluftinger das Gespräch schließlich wieder auf.
    »Und was?«
    »Wie geht’s Ihnen jetzt?«
    Es schien, als stelle sich auch Yildrim diese Frage erstmals. Er holte tief Luft und sagte: »Es gibt da in der Neurowissenschaft dieses Dilemma, das man Probanden vorlegt: Ein Zug fährt auf fünf Gleisarbeiter zu. Sie selbst stehen an der Weiche. Wenn Sie sie umlegen, retten Sie die Männer. Allerdings stirbt dann ein weiterer, einzelner Arbeiter, der auf dem anderen Gleis steht. Wie entscheiden Sie sich?«
    Ohne zu zögern antwortete Kluftinger: »Ich lege die Weiche um.«
    »So entscheiden sich die meisten, denen die Frage gestellt wird. Aber modifizieren wir das ein bisschen: Sie haben wieder die Möglichkeit, die fünf Arbeiter zu retten, diesmal allerdings nicht durch das Umlegen einer Weiche. Sie müssten einen schwergewichtigen Mann vor den Zug stoßen, dessen Körpermasse ihn zum Stehen bringen würde. Wie sieht’s jetzt aus?«
    Kluftinger holte schon Luft, um zu antworten, dann hielt er inne.
    »Sehen Sie, es ist so: Der Mann hat Leben bedroht. Es ist doch ganz klar: Das Leben Unschuldiger, die von jemandem bedroht werden, der sich bewusst außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, ist wichtiger. Ohne wenn und aber. Ich hatte nicht die Möglichkeit, ihn indirekt, durch die Weiche, an seinem Tun zu hindern. Ich musste aktiv werden. Mit diesem Wissen geht es mir gut. Auch wenn mir lieber gewesen wäre, nicht in dieses Dilemma zu geraten.«
    »Genau genommen, waren Sie ja gar nicht in diesem Dilemma, denn die Menschen, die in Ihrem Beispiel sterben, sind alle unschuldig. Aber der, den Sie zur Strecke gebracht haben, war ein Mörder.«
    Yildrim nickte.
    Den Rest des Essens verbrachten sie schweigend, dann stand Yildrim auf, holte ein Päckchen Kaugummi aus seiner Hosentasche und hielt Kluftinger einen hin: »Hier, hilft beim Wachbleiben.« Mit diesen Worten schob sich Yildrim einen Streifen in den Mund und ging zurück an die Arbeit. Angewidert betrachtete Kluftinger den

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