Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
von der Bedrohung durch die Erle.«
»Wer sagt, dass Euer Onkel sich bedroht fühlt?«, fragte die Zofe. »Das Böse wandelt oft auf unerkannten Pfaden, mein Kind. Offenbar vertraut Klaigon seinen neuen Verbündeten und wähnt Iónador in Sicherheit.«
»Aber… wie kann er so etwas tun?«
»Ihr kennt Euren Onkel besser als ich, mein Kind«, sagte Calma, »aber die Gier nach Macht und Reichtum hat schon manchen blind werden lassen.«
»Aber… aber… aber Klaigon ist bereits Fürstregent!«, wandte Rionna verständnislos ein. »Was will er denn noch mehr?«
»Ihr könntet ihn danach fragen«, schlug die Zofe achselzuckend vor. »Oder Ihr könnten Euch überlegen, wie Ihr Euer Wissen und Euren Einfluss nutzen wollt, um die Bedrohung abzuwenden.«
»Um die Bedrohung abzuwenden? Wie?«
»Indem Ihr Euren Verstand benutzt und Euer Herz – Gaben, von denen Klaigon ungleich weniger besitzt als Ihr.«
»Herz und Verstand in allen Ehren, aber wie können sie mir dabei helfen, die Pläne meines Onkels zu durchkreuzen? Ich bin eine Frau und ganz allein.«
»Nicht ganz allein, mein Kind.« Die Zofe schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln.
»Natürlich, entschuldige. Aber was kann ich tun, um…?« Rionna unterbrach sich, als ihr ein jäher Gedanke kam. »Barand«, flüsterte sie. »Ich muss ihn warnen.«
»Barand von Falkenstein ist Eurem Onkel treu ergeben«, gab Calma zu bedenken. »Ich denke nicht, dass er sich seinem Befehl widersetzen wird.«
»Vor allem ist er Iónador treu ergeben«, widersprach Rionna. »Wenn er erfährt, was Klaigon getan hat und welche Gefahr der Goldenen Stadt droht, wird er umkehren, um sie zu verteidigen.«
»Und Ihr denkt, er wird Euch Glauben schenken?«
»Du vergisst, dass Barand um meine Hand angehalten hat.« Ein verwegenes Lächeln stahl sich auf Rionnas Züge. »Wenn er mich wirklich will, sollte er meinem Wort vertrauen.«
»Vielleicht wird er das«, sagte Calma, »aber wie wollt Ihr zu ihm gelangen? Euer Onkel wacht mit Habichtsaugen über Euch.«
»In der Tat, meine gute Calma. Und darum werde nicht ich mich auf den Weg zu Barand begeben, sondern – du!«
»Ich?« Calma riss die Augen weit auf.
»Auf dich achten die Wachen nicht. Zudem bist du Allagáinerin und kennst dich im Oberland aus. Wenn jemand zu Barand vordringen kann, dann du. Ich werde dir einen Brief mitgeben, den du ihm persönlich überbringen wirst und…«
»Aber Prinzessin, ich…«
»Bitte, Calma«, drängte Rionna. »Ich weiß, ich verlange viel, aber in diesem ganzen Turm gibt es niemanden, dem ich mehr vertraue als dir. Du musst es tun, Calma. Für Iónador – und für Allagáin.«
»Ich werde gehen«, erklärte sich die Zofe bereit, »aber nicht für Iónador und nicht für Allagáin – sondern für Euch, mein Kind. Mein Leben lang habe ich Eurer Familie gedient, zunächst Eurem Vater und dann Euch selbst. Wie eine Tochter seid Ihr für mich gewesen, und wie eine Mutter liebe ich Euch. Nur aus diesem Grund werde ich gehen – als eine Mutter, die ihr Kind vor Schaden bewahren will.«
»Ich danke dir, Calma«, erwiderte Rionna, und obwohl es weder der Sitte noch den Gepflogenheiten am fürstlichen Hof entsprach, umarmte sie die Zofe und drückte sie herzlich an sich.
Keine von beiden ahnte, dass ihre Worte belauscht worden waren und ihr Plan kein Geheimnis mehr war…
42
Am frühen Morgen des nächsten Tages – noch war kein Sonnenstrahl über die steilen Hänge gedrungen, und graues Zwielicht herrschte in der Schlucht – setzten die Gefährten ihren Weg fort.
Die Höhle hatte ihnen einen sicheren Unterschlupf für die Nacht geboten, und obwohl sie kein Feuer entfacht hatten, hatte niemand gefroren, was Alphart dem Wirken Yvolars zuschrieb. Nachdem sie ein stärkendes Frühstück eingenommen hatten, das neben Wasser und Brot auch reichlich Schinken aus den Räucherkammern der Zwerge enthalten hatte, verließen die sechs Wanderer die Höhle, und wie am Vortag übernahm der Druide die Führung des kleinen Zugs.
Während es in der Nacht noch heftig geschneit hatte, ließ der Schneefall gegen Morgen ein wenig nach, sodass das Vorankommen zwar noch immer beschwerlich war, die Sichtverhältnisse aber merklich besser. Als sie die Schlucht verließen, zeichneten sich jenseits der wirbelnden Flocken und der Nebelschleier, die um diese Tageszeit noch in den Tälern hingen, schemenhaft die Gipfel der umliegenden Berge ab, von denen Alphart jedoch keinen kannte.
Er nahm an, dass
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