Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Ihren anerkannt.
Das war der Augenblick, auf den Leffel so lange gewartet hatte. Endlich hatte er Gelegenheit, sich vor aller Augen zu bewähren, und obwohl er weder wusste, wo sich Iónador genau befand, noch worauf er sich da eigentlich einließ, erklärte er sich sogleich bereit, die Aufgabe zu übernehmen – und schon am nächsten Morgen verließ er das Dorf, zum ersten Mal in seinem Leben.
Die Dorfbewohner hatten ihn mit allem ausgestattet, was er für den langen Marsch benötigte: Außer Proviant (Jolanda Burz hatte ihm ein altbackenes Kranzbrot schicken lassen, dazu etwas ranzige Butter) gaben sie ihm einen rostigen Dolch mit, den der Urgroßvater des Bauern Stank einst im Kampf gegen das Waldvolk getragen hatte. Sie sagten ihm, in welcher Richtung Iónador zu finden wäre, und die Reise begann.
Trotz seiner Begeisterung darüber, als Bote des Dorfes auserwählt worden zu sein, war Leffel nicht wohl in seiner Haut, schließlich hatte er die Grenzen des Dorfes noch nie übertreten. Seiner Heimat dem Rücken zu kehren, daran hatte er schon häufig gedacht, wenn sie ihn mal wieder geschimpft und geschmäht hatten – dann hatte er bei der alten Mühle im Ried gesessen und von fremden Ländern geträumt, vom fernen Südreich oder den Tälern von Trol. Doch nun, da er tatsächlich zu einer gefahrvollen Reise aufbrechen sollte, fiel ihm der Abschied schwer. Nur der Gedanke, dass die Dorfbewohner seine verborgenen Talente wohl endlich erkannt und beschlossen hatten, das Unrecht der vergangenen Jahre wieder gutzumachen, verlieh ihm den Mut, den ersten Schritt zu tun.
Als er die vertrauten Hütten und Wege hinter sich ließ, da hatte er für einen kurzen Moment das untrügliche Gefühl, dass bei seiner Rückkehr nichts mehr so sein würde, wie es einmal gewesen war…
Bis Iónador war es ein gutes Stück Weg. Zwei Tage, wenn man zügig marschierte, drei, wenn man es ruhig angehen ließ. Leffel schritt kräftig aus, schließlich wollte er seine neuen Freunde nicht enttäuschen.
Den ersten Tag folgte er dem Lauf des Flusses Allair, dessen reißende Windungen das Land Allagáin von jeher teilen, und erreichte gegen Abend das Bergland. Von dem Höhenzug aus, der sich jenseits des Grünen Bachs erhob, konnte Leffel weit nach Süden blicken, und er sah in der Ferne die schroffen Grate des Wildgebirges wie eine Mauer aufragen. Der Gilg war voll des Staunens. Aus solcher Nähe hatte er die Berge noch nie gesehen. Ihre Größe und Majestät raubten ihm den Atem, und ehrfürchtig fragte er sich, welche Kräfte wohl in der Lage gewesen sein mochten, derartige Massen aufzutürmen.
Es gab viele Geschichten, die sich um die Entstehung der Berge rankten. Eine davon erzählte, dass sie einst riesige Drachen gewesen waren, die vor langer Zeit die Erde beherrschten – bis sie sich gegen den Schöpfer wandten und auch das Grundmeer und den Himmel beherrschen wollten. Da wurden sie niedergeworfen und erstarrten zu Stein, als ewiges Mahnmal für die Allmacht des Schöpfers…
Am zweiten Tag (die Nacht hatte er in einem Gasthaus im unteren Ried verbracht) durchquerte Leffel das Hügelland. Dabei zitterte er erbärmlich – nicht vor Ehrfurcht, die ihn in Gegenwart der nahen Berge befiel, sondern weil es im Süden noch ungleich kälter war als zu Hause im Unterland. Ahorn und Kastanien hatten ihre Blätter bereits verloren, und es hatte bis tief in die Täler geschneit. Eisiger Wind fegte aus den Bergen, und schaudernd musste Leffel an das denken, was Magistrat Grindl ihm erzählt hatte – vom frühen Wintereinbruch und von dem Feuerreiter, der gesichtet worden wäre.
Sobald es dämmerte, suchte er Unterschlupf bei einem Bauern, den er bat, in seiner Scheune übernachten zu dürfen. Das Gastrecht galt viel in Allagáin, selbst wenn man Fremden gegenüber misstrauisch war. Auch Leffel wurde argwöhnisch beäugt, vor allem auch wegen des Rupfensacks, den er bei sich trug und aus dem es immer noch erbärmlicher stank. Schon mehrmals hatte der Gilg hineinsehen wollen, der Versuchung aber stets widerstanden – schließlich wollte er seine Aufgabe gut erfüllen und niemanden enttäuschen.
Am drauffolgenden Tag setzte er seine Reise fort, nachdem er sich bei dem Bauern nach dem weiteren Weg erkundigt hatte, und schon bald konnte er in der Ferne die Türme Iónadors ausmachen.
7
Die Fürstenstadt, deren Dächer im Licht der Morgensonne golden schimmerten, lag auf der anderen Seite eines länglichen Sees, in dessen
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