Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Sache war. Dennoch reichte der Wildfänger dem Gilg die Hand zum Abschied, worauf dieser ihn jedoch umarmte und herzlich an sich drückte. Sogar dem Bärengänger wünschte er alles Glück, und Mux reimte ergriffen: »Verkneifen will ich mir die Tränen und mannhaft tapfer Abschied nehmen.«
Alphart wandte sich an Yvolar: »Willst du dich nicht auch von ihnen verabschieden, Druide?«
»Wozu?« Einmal mehr huschte über seine Züge jenes hintergründige Lächeln, das sie schon so oft gesehen hatten. »Ich werde sie niemals vergessen, ebenso wenig, wie sie mich vergessen werden.« Damit wandte er sich ab, sodass sich sein wallender Mantel hinter ihm bauschte. Es war das letzte Mal, dass die Gefährten ihn auf diese Weise lächeln sahen.
Während Walkar, Leffel und Mux ihren Weg Richtung Gipfel fortsetzten, der sie um das Felsmassiv herum und dann stetig bergauf führen würde, folgten Alphart und der Druide dem Verlauf der Eisspalte. Schon nach wenigen Schritten waren ihre Gefährten im dichten Nebel verschwunden, und auch das Knirschen, das ihre Schritte auf dem gefrorenen Grund verursachten, war kurz darauf verstummt. Zeit, sich um die jeweils anderen Gedanken zu machen, blieb ihnen nicht; jeder von ihnen hatte sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die vor ihnen lag.
»Dort!« Yvolar deutete in die Spalte. »Siehst du, Jägersmann? Ich hatte recht.«
»Bei allen Gipfeln!«, entfahr es Alphart. »Da sind Stiegen ins Eis geschlagen!«
»Das Werk grober Klauen«, bestätigte der Druide. »Bist du sicher, dass du mir dorthinein folgen willst?«
»Nein«, antwortete Alphart trocken. »Aber der Junge ist irgendwo dort unten und braucht unsere Hilfe. Also lass uns gehen.«
Yvolar nickte, dann setzte er seinen Fuß auf die oberste Stufe und stieg hinab in das ungewisse Dunkel. Alphart folgte ihm, den Bogen in den Händen und einen Pfeil auf der Sehne – und schon kurz darauf hatte die dunkle Kluft des Ferners sie verschluckt.
26
Der Kältebann, der wirkungsvoller als jede Fessel dafür gesorgt hatte, dass sich Erwyn nicht hatte bewegen können, war von ihm genommen worden. Dennoch hatte der Junge nicht das Gefühl, sich selbst durch die düsteren, von Eis überzogenen Gänge zu bewegen; stattdessen kam es ihm vor, als ob er von unsichtbaren Kräften geschoben und gestoßen wurde. Und das, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, der großen, schattenhaften Gestalt zu folgen, die ihm vorausging.
Noch immer hatte Erwyn den Herrn von Urgulroth nicht wirklich zu sehen bekommen. Alles, was er im unheimlich grünen Licht erkennen konnte, war eine schemenhafte, von einem schwarzen Mantel umflossene Gestalt, deren Gesicht sich im unergründlichen Dunkel einer weiten Kapuze verbarg. Schaudernd versuchte der Junge, sich das Antlitz des Nebelherrn auszumalen, aber er bezweifelte, dass sein Vorstellungsvermögen dazu ausreichte.
Zwei Trollwachen begleiteten ihn – fellbesetzte, massige Kreaturen mit Gesichtern wie aus Stein. Die riesigen Äxte in ihren Klauen waren schartig vom häufigen Gebrauch, die Ketten um ihre ungeschlachten Leiber klirrten bei jedem Schritt. Ihr heiseres Schnauben lag Erwyn in den Ohren, während er dem Herrscher des Eises folgte – gegen seinen Willen und doch außerstande, etwas dagegen zu tun.
»Wo-wohin bringt Ihr mich?«, erkundigte er sich zaghaft, obwohl er annahm, dass Muortis die Frage längst vorausgeahnt hatte; der Nebelherr schien tatsächlich über die beunruhigende Fähigkeit zu verfügen, die Gedanken Sterblicher lesen zu können.
»Ich möchte dir etwas zeigen«, lautete die ebenso knappe wie nichtssagende Antwort, sodass sich Erwyn fragte, was für neue schreckliche Enthüllungen seiner noch harren mochten. Das kehlige Lachen, das Muortis daraufhin vernehmen ließ, bestätigte ihn einmal mehr in seinem Verdacht, was die Fähigkeiten des Finsteren betraf.
Als Erwyn zu einer weiteren Frage ansetzte, ließ einer der Trolle ein wütendes Fauchen vernehmen, worauf der Junge sogleich verstummte. Der Seitenblick, mit dem die Kreatur ihn streifte, enthielt eine deutliche Warnung. Erwyn blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, wohin die Reise ging, die immer weiter in das unergründliche Labyrinth von Urgulroth führte.
Schon nach kurzer Zeit hatte der Junge die Orientierung verloren und wusste nicht einmal mehr zu sagen, ob er sich oberhalb oder unterhalb jener Höhle befand, in der er erwacht war; zu groß war die Anzahl der Stufen, über die sie bald hinauf-
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