Land des Todes
gesehen hatte –, das mich bewog, unsere erneute Bekanntschaft nicht über allgemeine Höflichkeit hinaus zu vertiefen.
Mich wunderte, weshalb eine so bedeutende Persönlichkeit, wie er es dem Vernehmen nach geworden war, in einem so abgeschiedenen Dorf leben wollte, daher, angespornt von Neugier, fragte ich ihn genau dies. Zunächst fiel seine Antwort ganz so aus, wie ich es erwartete.
»Was geht dich das an?«, gab er zurück. »Kann ein Mann nicht in einem Haus leben, das ihm gehört, ohne impertinente Mutmaßungen heraufzubeschwören?«
»Selbstverständlich kann er das«, sagte ich und spürte den Tadel durchaus. »Aber Sie müssen zugeben, dass es hier wenig von Interesse für einen Mann von Ihrem Geschmack gibt.«
»Was weißt du von meinem Geschmack?«, entgegnete er. Ich dachte, damit hätte es sich, und schickte mich an zu gehen. Doch er war noch nicht fertig: Zuerst musterte er mich mit einem eindringlichen Blick, der mir größtes Unbehagen bereitete, dann fragte er mich, weshalb ich an diesem Ort geblieben sei, obwohl ich ganz offensichtlich nicht aus demselben Holz geschnitzt war wie meine Nachbarn. Seine Frage verblüffte mich, und ich antwortete verwirrt, dass es Bande des Blutes und der Gewohnheit gäbe, durch die mir der Ort lieb geworden war.
»Auch ich habe diese Bande«, erwiderte er mit plötzlicher Inbrunst. »Wenn schon nicht der Gewohnheit, so doch des Blutes. Alles, was mir je widerfahren ist, ist mir hier widerfahren. Es sind Bande, die einen rufen, ob es einem gefällt oder nicht …«
Mich schauderte: Einen Moment lang sah ich hinter seine Maske der Gleichgültigkeit, und es war, als hätte ich eineschauerliche Kreatur am Grund eines dunklen Teichs erspäht. Mit lebhafter Klarheit besann ich mich unserer letzten Begegnungen, bei denen er meiner Überzeugung nach von Sinnen gewesen war. Aber Damek sammelte sich rasch und setzte die Maske wieder auf. Er bedachte mich mit einem spöttischen Blick, nickte mir zu und ging weiter.
Das Unbehagen, das mir diese Unterhaltung bereitet hatte, ließ mich Dankbarkeit dafür verspüren, dass sich unsere Wege selten kreuzten. Er besuchte nie die Kirche, und wir begegneten einander höchstens auf der Straße, wo keiner von uns mehr tat, als im Vorbeigehen zu grüßen.
So zog ein Jahr ohne außergewöhnliche Ereignisse ins Land, und mein Mündel wurde sechzehn und kam in ein heiratsfähiges Alter. Durch ihre Schönheit und den Besitz ihres Vaters wurde sie zum Gegenstand mehrerer Brautwerbungen, was zu all der üblichen Aufregung führte. Ich fürchtete keinen Augenblick lang, dass sie mich hintergehen könnte, weshalb ich ihr mehr Bewegungsfreiheit gestattete, als klug war, ein Umstand, den ich heute bitterlich bereue.
Um es kurz zu machen: Damek stellte sich ihr im Geheimen als einer ihrer Verehrer vor, wobei er sie umschmeichelte und bezirzte, wie nur er es vermochte. Er führte die uralte Feindschaft zwischen ihrem Vater und ihm an, um sie auf Geheimhaltung einzuschwören, und ihre Gedanken waren dermaßen von romantischem Unfug erfüllt, dass sie seinen Ränken bereitwillig zustimmte und alles glaubte, was er über seine Rolle in der Angelegenheit erzählte. Verstehen Sie mich nicht falsch: Sie liebte ihren Vater innig und wollte ihn keineswegs verletzen. Doch in ihrer Unschuld glaubte sie, was zwischen Tibor und Damek vorgefallen war, sei nicht mehr als ein tragisches Missverständnis gewesen, das mit Zeit und Liebe letztlich überwunden werden könne.
Ich hege keinen Zweifel daran, dass Damek diesen Plan viele Jahre lang geschmiedet hat, vielleicht sogar, seit er Elbasa verließ, und er hatte geduldig gewartet, bis die Zeit reifdafür wurde. Aus seiner Sicht stellte es die ultimative Rache dar, Lina zu heiraten. Er wusste, dies würde Tibor zerstören, und da er unzweifelhaft auch Lina die Schuld am Tod ihrer Mutter gab, konnte er so zugleich auch sie bestrafen. Als Erbin ihres Vaters würden ihr bei seinem Tod die Manse und deren Besitztümer zufallen, was seinem habgierigen Wesen zusätzlich entgegenkam, weil dann das gesamte Eigentum an ihn übergehen würde.
Argwohn lag uns so fern, dass es Lina gelang, die Angelegenheit bis zu jenem Augenblick für sich zu behalten, als sie mit ihm durchbrannte. Sie hinterließ einen Brief, der vor Torheit nur so strotzte: Sie sei verliebt, und sie sei fortgegangen, um sich zu vermählen, und sie werde nach der Hochzeitsreise als Herrin des Roten Hauses zurückkehren. Außerdem bat sie um
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