Land des Todes
langsam, qualvoll und garstig eintreten, indes keine lebendige Seele ihn bemitleiden würde. Es war ein fürchterlicher Fluch, der durch das Haus hallte, auf dass man ihn selbst unten im Gesellschaftszimmer noch hören konnte, wo Masko saß und seinen Portwein trank.
Meine Seele fröstelte, während ich lauschte, doch ich wagte nicht, sie zu unterbrechen. Als sie fertig war, wandte sie sich mir zu, keuchend vor Anstrengung und Schmerzen. Ich weiß nicht, wie ich sie in jenem Augenblick beschreiben soll. Das Haar hing ihr zerzaust über den Rücken und über die Brust, ihr Antlitz war bleich wie das eines Leichnams; und in ihren Augen loderte ein Hass, wie ich ihn noch bei keinem anderen Menschen je gesehen hatte. Aber nicht das war es, was mein Herz einen Schlag lang aussetzen ließ. Ich wusste in diesem Moment, dass sie wirklich eine Hexe war und der von ihr ausgestoßene Fluch keine leere Drohung darstellte. Der Mann tat mir beinah leid.
»Dafür wird er Sie wieder züchtigen lassen, Fräulein Lina«, sagte ich schließlich mit trockenem Mund.
»Das würde er nicht wagen«, gab sie zurück.
Ich beobachtete Masko im Verlauf der nächsten Tage aufmerksam, aber zu meiner Enttäuschung zeigte der Fluch keine unmittelbare Wirkung. Er aß so viel wie eh und je, und er schlief tief und fest. Allerdings sollte sich bewahrheiten, dass er das Mädchen nicht erneut züchtigen ließ – vielleicht hatte der Arzt seinem Missfallen darüber Ausdruck verliehen. Und als sich Lina letztlich vom Krankenbett erhob, entschied er, sie nicht zu beachten, obschon ich ihn manchmal dabei ertappte, wie er sie verstohlen aus zu Schlitzen verengten Augen musterte.
Dafür ergriff er andere Maßnahmen. Am Tag nach der Züchtigung ließ er Lehrer Herodias wissen, dass seine Dienste nicht länger benötigt würden. Herr Herodias nahm die Entscheidung mit der ihm eigenen, spöttischen Nüchternheit auf. Er hielt uns einen kurzen Vortrag über die stete Weiterentwicklung unseres Verstandes durch fortwährendes Lesen, bedachte jeden von mit einem Buch als Abschiedsgeschenk, packte seine Taschen und brach in die Stadt auf, vermutlich,um sich eine neue Stelle zu suchen. Ich glaube, in Wirklichkeit war er froh darüber, abzureisen: Er war kein Mann des Nordens, und die starren Strukturen hier hatten ihn erschöpft.
Das war schon schlimm genug, doch Maskos nächste Handlung erwies sich als wesentlich schlimmer. Damek konnte er nicht des Hauses verbannen, zumal der Junge vom König höchstpersönlich geschickt worden war, aber ihm war aufgefallen, wie hingebungsvoll ich mich um Linas Wohlergehen sorgte, während sie das Bett hütete. Deshalb beschloss er, mich dem König zum Geschenk zu machen, auf dass ich ihm im Palast als Magd dienen sollte. Weder das Aufbegehren meiner Mutter noch Linas Bitten – denn sie ließ sich so weit herab, Masko anzuflehen, mich bleiben zu lassen –, änderten etwas an seiner Entscheidung. Ich glaube, es bestärkte ihn noch in seiner Entschlossenheit, zumal er Lina auf diese Weise zugleich ausgrenzen und verletzen konnte. Und so begab es sich, dass ich weniger als drei Monate nach dem Tod des Masters gezwungen war, meine Habseligkeiten zu packen, alles mir Bekannte zurückzulassen und die dreitägige Reise zum Palast des Königs anzutreten.
Zum Glück herrschte Hochsommer, und das Wetter hielt sich, sonst hätte meine Reise noch elender ausfallen können. Maskos Rücksichtnahme auf mein Wohl zeigte sich auch darin, dass er mich in einem offenen Wagen auf die Reise schickte. Durch das Gerüttel fühlte ich mich von Kopf bis Fuß wund, als ich im Palast eintraf, aber wenigstens blieb ich trocken. Ich war jung, verängstigt und einsam, doch ich hatte das Glück, freundlich aufgenommen zu werden. Und so verläuft meine Geschichte nach dem Erreichen des Palasts nicht ganz so traurig.
In den Jahren, die ich im Dienst des Königs verbrachte, verlor ich den Überblick darüber, was sich im Roten Haus zutrug. Zwar schrieb ich jeden Monat Briefe nach Hause, bekam allerdings nur wenige zurück. Meine Mutter konnte nicht schreiben, und Lina sandte mir nur eine kurze Mitteilung. Das schmerzte mich nicht so sehr, wie man meinen sollte, denn ich erfuhr von Damek, dass Lina jeglicher Schriftverkehr verboten worden war.
Damek schickte mir noch vereinzelt Briefe, bis auch diese Informationsquelle versiegte. Viele Jahre später fand ich ein kurzes Tagebuch, das Lina in ihrer Kammer in dem Loch unter der losen Bodendiele versteckte,
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