Land des Todes
zu gewährleisten. Masko erfuhr natürlich von diesem Gesuch, und als der König es zurückwies, wurde er hochmütiger denn je zuvor. Doch selbst da streute er noch die Saat seines eigenen Untergangs aus.
XV
Man kann sich vielleicht vorstellen, mit welchen Gefühlen ich meinen Schrankkoffer packte und den Heimweg antrat.
Obwohl es noch früh im Jahr war, gestaltete sich die Reise unangenehm. Es herrschte übermäßige Hitze, und ein Unwetter braute sich zusammen. Im Verlauf des Tages verdichteten sich am Himmel blutergussfarbige Wolken, und die Luft wurde zunehmend stickiger und schwüler, sodass mir unter dem Korsett Schweiß über den Rücken rann. Erschwerend kam hinzu, dass mich Mücken plagten, die in Scharen aus dem Gras hervorschwärmten und jeden Zoll ungeschützter Haut zwackten. Sowohl der Kutscher als auch ich waren erpicht darauf, in Elbasa einzutreffen, bevor der Sturm überunseren Köpfen losbrach. Zu meiner unaussprechlichen Erleichterung erreichten wir das Rote Haus, kurz bevor die ersten fetten Regentropfen in den Staub zu fallen begannen.
Meine Mutter freute sich, mich zu sehen, wenngleich ohne offenkundige Bezeugungen, die andere bei engen Angehörigen, die nach einer Trennung von sieben Jahren wiedervereint wurden, wohl für angemessen gehalten hätten. Sie umarmte mich kurz und meinte, dass ich groß geworden sei. Meine Mutter schien genauso verlegen wie ich: Als sie mich das letzte Mal gesehen hatte, war ich noch ein kaum der Kindheit entronnenes Mädchen gewesen, und mittlerweile war ich eine erwachsene Frau. Mich bestürzte, wie sehr sie gealtert war: In meiner Abwesenheit war sie greis geworden. Ihr Haar präsentierte sich vollkommen weiß. Ihre einst starken Arme waren dünn und knotig geworden, und von der Nase zum Mund verliefen tiefe Linien der Verbitterung, die ihr die Traurigkeit förmlich ins Gesicht schrieben. Wir begegneten uns beinah wie Fremde, und obwohl uns unser Aufeinandertreffen durchaus bewegte, waren wir gleichermaßen außerstande, unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Eine ganze Weile saßen wir in der Küche, und sie kochte mir Kräutertee, während der Sturm heulend über das Dorf hereinbrach und der Regen auf die Dächer einprasselte. In jener Nacht war es unmöglich für mich, zur Manse zu gehen, und allmählich, während sie auf meine Nachfragen hin berichtete, was sich seit meiner Abreise im Dorf ereignet hatte, taute die Stimmung zwischen uns auf.
Die wichtigsten Dinge, die sich zugetragen hatten, seit ich fortgegangen war, habe ich insoweit bereits geschildert, als sie sich auf Lina und Damek bezogen, doch es gab auch allerlei andere Neuigkeiten. Mutter sprach von neuen Ehen, von Geburten und von Todesfällen – die Todesfälle überwogen bei Weitem, zumal die Vendetta nach wie vor ihre langsame Spur der Verwüstung durch Elbasa und Skip zog. Diese ganzen Vorfälle, die einst so wichtig für mich gewesen waren, schienen plötzlich keinen Bezug mehr zu meinem Leben aufzuweisen. Das betrübte und überraschte mich; bis dahin war mir nicht klar gewesen, wie sehr mich meine Abwesenheit verändert hatte. Ich versuchte, ihr von meinen Jahren im Palast und von Zef zu erzählen, der den vordersten Platz in meinen Gedanken einnahm, aber sie zeigte bestenfalls höfliches Interesse daran, und ich ließ das Thema alsbald fallen. In jener Nacht legte ich mich mit bedrücktem Herzen schlafen und fragte mich, ob ich mich an dem Ort, den ich als meine Heimat betrachtet hatte, für immer wie eine Fremde fühlen würde.
Am nächsten Morgen hatte sich das Unwetter verzogen, und ich trat zu Fuß den Weg zur Manse an. Mein Schrankkoffer sollte später nachgeschickt werden. Nach dem Staub und Unbehagen der Reise des Vortags war ich froh über die Gelegenheit, in der kühlen Luft zu spazieren, die sich nach dem nächtlichen Regen gereinigt und frisch anfühlte, und das Dorf zu betrachten, das ich so viele Jahre lang nicht gesehen hatte. Es wurde ein schwermütiger Marsch: Da ich mich an die prunkvollen Hallen und feinen Nebengebäude des Palastes gewöhnt hatte, erschien mir Elbasa kleiner und armseliger, als ich es in Erinnerung hatte. Zudem bemerkte ich, wie viele Häuser, beispielsweise das von Fatima, leer standen und verfielen.
Lina erwartete mich bei der Manse und umarmte mich wesentlich herzlicher, als es meine Mutter getan hatte. »O Anna!«, sagte sie schließlich, als sie zurücktrat, mein Gesicht musterte und sich Tränen von den Augen blinzelte. »Was bin ich
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