Land des Todes
allzu einfach für eine Herrin, davon auszugehen, dass eine Dienerin sowohl für ihre emotionalen als auch für ihre materiellen Bedürfnisse zur Verfügung zu stehen hat. Und wenn ich auch auf diese Weise benutzt worden bin, verlangte mein Gefühl für Würde, dass eine solche Freundschaft von Herzen und nicht auf Befehl kommen muss. Aber dies sind nebensächliche Feinheiten, die Sie vielleicht nicht interessieren; mir sind jedenfalls noch nicht viele Menschen begegnet, die sich mit der Selbstachtung derer beschäftigen, die für sie arbeiten.
Jedenfalls freute ich mich darüber, Linas Haushälterin zu sein, weil es mir im Dorf großes Ansehen verlieh. Ich war immer noch sehr jung und konnte nicht anders, als mich durch meine Stellung geschmeichelt zu fühlen. Als die Familie Kadar im Roten Haus gelebt hatte, war die Manse lediglich der Arbeitsstützpunkt der Anwesen gewesen, doch durch die geringe Wertschätzung Maskos seitens der Dörfler hatte sich der Schwerpunkt königlicher Befehlsgewalt auf die Manse verlagert. Ich bin sicher, Lina war dies völlig gleichgültig, sofern sie es überhaupt bemerkt hat. Ich bemerkte den allgemeinen Stimmungswechsel sofort und vermutete, dass ihr zurückgezogenes Leben sowohl Neugier als auch Mitgefühl schürte; zudem wurde deutlich, dass sie zu einem Symbol für den Unmut gegenüber Maskos Unverfrorenheit und Misswirtschaft geworden war. Nun herrschte große Nostalgie für die »alten Tage« und den »alten Master« unter jenen, die einst am lautesten über Lord Kadar und seine anstößige Tochter gelästerthatten, und der Umstand, dass sie als Hexe galt, schien völlig in Vergessenheit geraten zu sein.
Lina selbst vertraute mir an, dass sie gar keine Hexe sei. »Das ist immer ein Irrtum gewesen«, sagte sie. »Und es ist so ungerecht. Die schrecklichen Dinge, die man über mich gesagt hat … Aber ganz ehrlich, Anna, ich habe nie auch nur ein Aufflackern von Magie in mir gespürt, ganz gleich, was alle dachten.«
Ich betrachtete ihre veränderten Augen, überlegte und erwiderte nichts. Ich hatte nie daran gezweifelt, dass Lina eine Hexe war, und es fiel mir schwer, diese Überzeugung abzulegen. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte reumütig.
»Ich habe es gemerkt, als ich Masko verfluchte«, sagte sie. »Erinnerst du dich daran? Nie im Leben habe ich etwas Ernster gemeint. Ich war überzeugt davon, er würde schon im nächsten Moment tot vor meine Füße fallen! Aber es hatte nicht die geringsten Auswirkungen. Ebenso gut hätte ich mir den Atem sparen können.«
Wieder überlegte ich und zweifelte. Ich hatte Masko zwar noch nicht gesehen, aber ich hatte bereits von meiner Mutter gehört, dass ihn allerlei Furunkel plagten und er unter Schlaflosigkeit und fortwährenden Albträumen litt, was zumindest teilweise für seine Trunksucht verantwortlich zeichnete. Was immer Lina glauben mochte, mein erster Gedanke war, dass dies ein Ergebnis ihres Fluches darstellte – jedenfalls war er bei seiner Ankunft in Elbasa eindeutig noch nicht von derlei Leiden befallen gewesen.
Da sie jedoch demnächst heiraten würde und unverkennbar ein stilles, achtbares Leben zu führen wünschte, hielt ich es für das Beste, zu schweigen. Weil Lina meine Skepsis bemerkte, verriet sie mir, dass sie vor zwei Jahren den Zauberer Ezra aufgesucht hatte, weil er ihr ein für alle Mal sagen konnte, ob sie die Kräfte einer Hexe besitzt oder nicht.
»Er hat gesagt, dass ich keine Hexe bin«, erklärte sie. »Wenn du mir nicht glaubst, ihm doch bestimmt, oder?«
Erstaunt starrte ich sie an. Lina hatte sich in der Tat verändert, wenn sie zum Zauberer Ezra gegangen war, ihrem erbittertsten Feind, noch dazu in einer so erniedrigenden Angelegenheit. Andererseits: Allein und ungeschult in jeglichen Aspekten der Magie, wie sie war, wo sonst hätte sie Rat suchen sollen?
»Hat er Sie gar in sein Haus gebeten?«, fragte ich. »Als ich noch hier war, hätte er Sie nie über die Schwelle gelassen.«
»Ja, er hat mich eingelassen. Seit du zuletzt hier warst, hat sich viel verändert. Es war seltsam, Anna, und ich hatte große Angst: Ich habe mich immer vor ihm gefürchtet, auch wenn ich es nicht zugeben wollte. Eine Zeit lang dachte ich, Zauberei sei samt und sonders Schwindel, aber so ist es nicht.«
Ich dachte an die Zauberer, die ich im Palast gesehen hatte und die einem Mann den Atem rauben konnten, obwohl sie zehn Schritte entfernt standen, und ebenso mühelos konnten sie ihn wieder freigeben. Oder
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