Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
Vom Netzwerk:
aufsuchte … da hörte ich von unten Stimmen heraufdringen. Mir blieb das Herz stehen. Es war nicht der Arzt: Es war der Zauberer Ezra. Irli musste ihn hereingelassen haben. Ich verfluchte mich: In meiner Aufregung um Lina hatte ich Dameks Warnung völlig vergessen. Wie hatte ich nur so gedankenlos sein können? Irli war noch ein Kind – von ihr konnte man nicht erwarten, dass sie einem Zauberer trotzte, der Einlass begehrte.
    Wie erstarrt stand ich da, erfasst von vollkommener Panik. Schließlich rannte ich zurück ins Zimmer. Es gab keine Möglichkeit mehr, die Tür zu verriegeln, da Damek sie zuvor aufgebrochen hatte, und mein erster verwirrter Gedanke bestand darin, Lina in ein anderes Zimmer zu schaffen.
    »Es ist der Zauberer Ezra!«, zischte ich meiner Mutter zu, als ich die Bettdecke beiseite zerrte und Lina hochzuheben versuchte.
    Meine Mutter bekreuzigte sich. Lina stemmte sich hoch, stützte sich am Bettgestell ab und starrte mich an.
    »Ezra?«, sagte sie. »In meinem Haus?«
    »Schnell«, sagte ich und bemühte mich verzweifelt, sie aus dem Zimmer zu scheuchen. Ich konnte bereits schwere Schritte auf der Treppe hören.
    Lina fluchte unflätig und schüttelte mich ab. »Mir ist Ezra einerlei«, erklärte sie. »Hör auf, dich wie ein altes Weib aufzuführen, Anna.«
    »Frau Lina, er will Sie töten !«
    Sie lachte schwach. »Als ob er das könnte!«
    Ich starrte sie an: Sie hielt sich durch bloße Willenskraft auf den Beinen und sah aus, als stünde sie kurz davor, erneut zusammenzubrechen. Meiner Einschätzung nach hätte sie in diesem Moment Mühe gehabt, sich gegen eine Motte zu verteidigen.
    Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch in jenem Augenblick schritt Ezra durch die Tür ins Zimmer. Voll Zorn hielt er seinen Stab wie eine Waffe vor sich: Das weiße Haar wirbelte um seinen Kopf, und seine Augen glichen bodenlosen schwarzen Gruben in einem Gesicht, das alles Licht aus dem Raum zu saugen schien. Ungeachtet meines Grauens verfolgte ein Teil von mir das Geschehen voll Verwunderung: Er verkörperte eine mit dieser weiblichen Kammer so unvereinbare Gestalt. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich Ezra noch niemals in einem Gebäude gesehen hatte – ich war nie in seinem Haus gewesen und hatte ihn immer nur dann erblickt, wenn er über die Felder oder durch die Straßen des Dorfes wanderte. Es war, als wäre ein Wolf in das Zimmer eingedrungen.
    Umrahmt vom Türstock stand er da, während meine Mutter und ich uns gegen die Wand pressten. Uns sah er nicht einmal an: Seine gesamte Aufmerksamkeit galt Lina, die in ihrem Nachtgewand vor ihm stand, die Knie zittrig vor Schwäche, das bleiche Gesicht verwundbar und schmal.
    Er brüllte nicht, sondern sprach leise und mit einer schauderhaften Bedächtigkeit, bei der sich mir die Nackenhaare sträubten. »Schlange des Satans!«, sagte er. »Ich bringe dein Urteil. Ich bringe Feuer, um dich zu verbrennen, und Wasser, um dich zu ertränken. Ich bringe Eisen, um dich zu durchbohren, und Salz, um dich zu reinigen. Ich bringe den Zahn des Wolfes, um dir die Zunge herauszuschneiden, und die Schwinge der Eule, um dich zu blenden. Und ich bringe den Fluch meines Herzens gegen den Schmutz und das Böse deiner Seele.«
    Damit hob er den Stab an, und Lina taumelte rücklings, als hätte er sie geschlagen. Bis dahin hatte ich wie angewurzelt dagestanden, aber als ich sah, wie Lina schwankte, stieg blinde Wut in mir auf. Sie wirkte so zerbrechlich und krank, und die Ungerechtigkeit versetzte mir einen Stich im Herzen, deshalb wusste ich kaum, was ich tat. Ich schleuderte mich Ezra entgegen, packte sein Wams und schüttelte ihn, brüllte ihn an, meine Herrin in Frieden zu lassen.
    Überrascht trat er zurück. Einen grauenhaften Atemzug lang begegnete sein Blick dem meinen, und es lag darin eine solche Bösartigkeit, dass ich glaubte, einen Dolch ins Herz gerammt zu bekommen. Im nächsten Moment wurde ich gegen die Wand geschleudert, als hätte man mich durch den Raum geworfen, obwohl Ezra keine Hand gegen mich erhoben hatte; dann sackte ich zu Boden.
    Lina straffte sich. Sie wirkte nun nicht mehr zierlich und krank: Plötzlich ragte sie in der kleinen Kammer bedrohlich auf, und von ihrer Gestalt ging ein gleißendes Licht aus, das sämtliche Schatten verbannte. Ihr Haar wogte um ihr Gesicht wie ein Nest voll Schlangen, und ihre Augen brannten in einem violetten Feuer. Auf ihrem Gesicht prangte ein Ausdruck solch dämonischen Hasses, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher