Land des Todes
zurückschrak.
Sie hob nur die rechte Hand, und der Zauberer stand mit einem Mal da wie versteinert, unnatürlich reglos: Eine Starre hatte ihn befallen, er konnte keinen Muskel rühren. Mund und Augen waren geöffnet, die Hände mitten in der Geste verharrt, sodass es schien, als stünde die Zeit für ihn still. Nur seine im Kopf rollenden Augen verrieten, dass er bei Bewusstsein war. In ihrem Ausdruck spiegelte sich vollkommenes Grauen wider, und allein das ängstigte mich. Ich erinnere mich noch, dass in jenem Augenblick vollkommene Stille im Raum Einzug hielt, als wären alle Geräusche aufgesogen worden; nicht einmal das Pochen meines eigenen Herzens vermochte ich noch zu vernehmen. Dadurch wirkte alles, was folgen sollte, nur umso schauderhafter.
Vor meinen Augen erhob sich jeder lose Gegenstand in der Kammer in die Luft – der Wasserkrug und die Schale, die Öllampe, der Nachttopf, die Bettlaken, Linas Unterwäsche, das Kaminbesteck, sogar der Stillsessel – und kreiste um Linas Kopf, sodass sie wie der Mittelpunkt eines albtraumhaften, häuslichen Strudels erschien.
Die Augen des Zauberers Ezra rollten nach oben, bis man nur noch das Weiße darin sehen konnte. Dann schossen Linas Arme in einer heftigen Geste nach vorn, und die schwebenden Gegenstände schnellten mit entsetzlicher Kraft auf den Zauberer zu. Viele von ihnen zerbarsten: Ich hörte ein lautes Krachen, als der Nachttopf an seinem Kopf zerschellte, und der Zauberer fiel, verwickelt in Leinen und Decken gleich einem diabolischen Netz. Dann wurde alles still im Raum. Man vernahm lediglich das Schluchzen meiner Mutter, die sich zitternd an die Wand kauerte, und mir wurde bewusst, dass ich mein in der Brust hämmerndes Herz wieder hören konnte.
Fassungslos starrte ich auf das Gemetzel, zu benommen, um zu reagieren: Dann jedoch bemerkte ich, dass die zerbrochene Lampe ihr Öl vergossen und die Stoffe in Brand gesetzt hatte. Binnen weniger Lidschläge brannte sie lichterloh. Ich begriff, dass wir alle verbrennen würden, wenn ich nicht handelte, und irgendwie gelang es mir, die Brokatvorhänge vom Bett zu reißen und damit die Flammen zu ersticken.
Als ich fertig war, verharrte ich kurz, um Luft zu holen. Lina war zusammengebrochen. Ich hob sie auf und schleifte sie auf das kahle Bett. Sie war so reglos und bleich, dass ich zuerst dachte, sie müsse gestorben sein, aber als ich mein Ohr an ihren Mund legte, nahm ich ein leichtes Atmen wahr, und ihr Herz flatterte in der Brust, schnell wie das eines Vögelchens. Dann untersuchte ich widerwillig den Zauberer. Ich erkannte auf Anhieb, dass er tot war: Das Schüreisen war mit solcher Wucht in sein Auge gedrungen, dass es den Schädel durchstoßen und den Kopf an den Dielen festnagelt hatte. Er hatte zudem eine tiefe Einbuchtung an der Schläfe, und Blutsickerte aus seinem Mund und seinen Ohren. Ungeachtet all der Beweise tastete ich nach seinem Puls und zitterte dabei, weil ich fürchtete, er könnte erwachen und meine Hand ergreifen.
»Er ist tot«, sagte meine Mutter, die neben mich gekrochen war. Ihr Antlitz präsentierte sich aschfahl, und ich bin sicher, für das meine galt dasselbe.
»Was sollen wir tun?«
Sie schüttelte nur den Kopf und bekreuzigte sich. Ich zog den verkohlten Bettvorhang über sein Gesicht, damit mir der schreckliche Anblick erspart blieb, und wir bewegten uns von seinem Leichnam weg. Da ergriff Mutter meine Hand, und wir saßen zusammen auf dem Boden des verheerten Zimmers, unfähig, uns zu bewegen oder gar zu erheben.
Ich weiß nicht, wie lange wir so verharrten. Alle anderen waren aus Angst um ihr Leben aus dem Haus gerannt, als Ezra eintraf; bis der Doktor auftauchte, kam niemand, der uns störte.
Der Arzt schritt durch die breite, offen stehende Vordertür und begab sich geradewegs herauf ins Schlafzimmer. Mit zusammengepressten Lippen starrte er auf die Verwüstung, äußerte sich jedoch nicht dazu. Nachdem er Linas Puls überprüft hatte, seufzte er. Dann hob er den Vorhang vom Leichnam des Zauberers und bedeckte ihn rasch wieder. Hier vermochte seine Kunst eindeutig nichts mehr auszurichten.
Schließlich ging er hinunter und kehrte alsbald mit einer Flasche Zwetschgenschnaps und einigen Gläsern zurück. Nachdem er ein großes Glas für meine Mutter und mich eingeschenkt hatte, bestand er darauf, dass wir alles austranken. Erst dann schenkte er für sich selbst ein, und da fiel mir auf, wie sehr seine Hände zitterten.
XXXIV
Vielleicht fragen Sie sich,
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