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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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sich ihre Enkelsöhne, jeder im Blazer, mit gewirkter
    Krawatte und feinem Button-down-Oberhemd, der Reihe
    nach an den Alteren vorbei, um dieser Ältesten mit ihrem
    starren blauen Haar und dem schwarzen Sommerstrohhut
    Ehre zu erweisen – mit einem seitlich unter der breiten
    Krempe vorbei geschmuggelten Kuss. Kein Pascha, kein
    Mafia-Boss könnte beflissene Gunstbezeigungen wür-
    devoller entgegennehmen. Owen stellt sich all das Geld
    vor, das durch den lebendigen Körper der Achtzigjähri-
    gen festgehalten wird, wie Tonnen von Weizen, die darauf
    warten, aus der Schütte eines Getreidehebers zu fließen,
    unterdessen tröpfelt auch so genug: Die Jungen mit den
    Blazern haben die honigbraune Tönung, wie man sie in
    den Winterferien auf den Bahamas oder beim Skifahren
    erwirbt, und die Mädchen, auch die im schwierigen Alter,
    mit Zahnspange und Akne, tragen teure Kleider zur Schau
    sowie belebende Hoffnungen auf gute Schulen und einen
    guten Wert auf dem Heiratsmarkt. Reich sein heißt ge-
    sund sein.
    Ihre Eltern, die mittlere Generation, lassen die Lesun-
    gen, die Gebete der Gemeinde und die Predigt (Ja, er ist
    auferstanden, so wie er in unserem Leben aufersteht, an unserem

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    ganz persönlichen Osterfest!) mit dem höflichen, leicht lä-
    chelnden Ausdruck über sich ergehen, mit dem sie auch
    die unzähligen Aufsichtsratssitzungen und feuchtfröh-
    lichen gesellschaftlichen Zusammenkünfte hinter sich
    bringen, die ihnen ihre Mitgliedschaft im Netzwerk der
    gewinnbringend Engagierten sichern. Owen bewundert
    insbesondere zwei Wesenszüge der männlichen Reichen:
    ihre Fähigkeit, immer noch höflicher zu werden, je mehr
    sie der Gegenstand ihrer Höflichkeit verärgert, und ihre
    Fähigkeit, Schuhe zu tragen, nicht einfach Mokassins, son-
    dern leichte Halbschuhe aus feinem Leder, ohne Socken.
    Owen, der bescheidenerer Herkunft ist, kann weder seine
    Verärgerung verbergen noch Schuhe, klebrige und unsau-
    bere, an seinen Füßen ertragen, ohne Socken – je wolli-
    ger, desto besser. Reiche Männer und Jungen versagen
    sich den Komfort von Socken, so seine Interpretation, um
    ihre rassigen Fußgelenke vorzuzeigen. Zudem bewundert
    Owen die Fähigkeit der Reichen beiderlei Geschlechts, bei
    Cocktailpartys enigmatische Partyhäppchen in den Mund
    zu stecken und sie dann, wenn sie merken, wie teuflisch
    scharf gewürzt sie sind, nicht auszuspucken, sondern sie
    stattdessen ergeben und unter Qualen hinunterzuschlu-
    cken und sich für eine noch ferne Zukunft S
    h
    peiserö ren-
    krebs einzuhandeln.
    Auf den beiden gedrängt vollen Kirchenbänken sind
    alle Lebensstadien vertreten, von unheilbarer Hinfällig-
    keit über alkoholbedingte Fettleibigkeit, tief eingekerbte
    Hautschäden durch Sonnenstrahlen, im Fitness-Studio ge-
    stählte Muskulatur, durch Kuren verstärkte Schlankheit,
    blühendes Teenagerleben und plötzliche Wachstums-
    schübe, pubertäre Verlegenheit und Albernheit, kindliche
    Pummeligkeit, in lähmende Langeweile gehüllt, Krab-

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    belkinderstumpfsinn, kurz vor dem Wutanfall, bis hin zu
    dem kürzlich getauften Säugling, der in milchiger Glück-
    seligkeit auf dem Schoß seiner jungen Mutter schläft. Die
    Wainthrops stellen eine Synopse des Lebens und seines
    tragischen Fortschreitens dar, doch dieses Bild wird über-
    lagert von Anmut, guten Manieren und Stammesbewusst-
    sein – einem Wert, der größer ist als die Summe seiner Tei-
    le. Denn die Reichen bleiben verschont vom vereinzelten
    ruhelosen Umherziehen, von der Flucht aus der schlecht
    ausgestatteten Kleinfamilie in die amerikanische Wüste:
    billige Unterhaltung, Parkplätze bei den Einkaufszentren,
    groß wie Seen, üble Landstraßenbars, wo es jeden Mitt-
    wochabend Karaoke gibt, verlassene Stadtzentren und ab-
    geholzte Wälder, wechselnde Jobs und wechselnde Part-
    ner, magere elektronische Zerstreuungen wie Filme voller
    Autounfälle und Explosionen, und Fernseh-Comedies,
    die wie in einem trüben, rissigen Spiegel die linkische
    Komödie unseres verzweifelten täglichen Improvisierens
    widerspiegeln, jenseits der ordnenden Prinzipien von Kir-
    che, Stadt und Familienhierarchie. Nur die Reichen – und
    nicht einmal alle, denn manche rebellieren plötzlich, und
    andere stürzen durch Selbstvernachlässigung in niedrige-
    re Kasten ab – können sich die alten Strukturen leisten,
    die uns von der Wiege bis zum Grab tragen, wohlgenährt,
    gut gekleidet und geachtet. Für Owen, der als Einzelkind
    dann am

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