Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
zufrieden sind. Wir sind Getriebene, getrieben von uns selbst, von der Werbung, vom Neid, von Mode, von Vorbildern.
Das ist so. Damit müssen wir leben, auch wenn es nicht unbedingt glücksförderlich ist. Nur allzu häufig machen wir unser Wohl und Wehe abhängig von Dingen, die wir nicht in der Hand haben, die aber uns kontrollieren können. Wir machen uns selbst zu Sklaven, nachdem es Hunderttausende Leben kostete, die Sklaverei größtenteils abzuschaffen. Es ist wie beim Risiko: Kollektiv lehnen wir es ab, ob es durch Kernkraft droht oder durch Gentechnologie. Individuell dagegen suchen wir es immer wieder, um uns selbst zu spüren. Ob in der Achterbahn oder beim Bungeespringen.
Liebe, Freundschaft, Geborgenheit, Herausforderung, Hilfe, Bewegung, Vertrauen, Freiheit, Sicherheit, Gesundheit, Geld, Ziele, Sinn. All das brauchen wir zum Leben und zum Glücklichsein. Aber es gibt noch eine Ebene darunter: die Basis der Bedürfnispyramide. Da geht es um Essen und Trinken, Schlaf, Wärme, Behausung und Sonne. Die schieren Grundbedürfnisse, ohne die unser Motor nicht läuft.
Klar kommen wir auch mal ohne aus. Beim Trecking durch die Anden, in Momenten verrücktester Verliebtheit, während einer Fastenkur. Und erleben vielleicht gerade in der Entbehrung, wie Geist und Seele plötzlich fliegen. Günter Grass sagt, sein bestes Buch, Die Blechtrommel , sei unter schlechtestmöglichen äußeren Umständen entstanden. Und Opa erzählt sicher am häufigsten vom Krieg, als seine Grundbedürfnisse am härtesten vom Stiefel der Geschichte getreten wurden.
Diese Momente des freiwilligen oder unfreiwilligen Verzichtes sind spannend und oft erschreckend. Sie füllen die Seiten unserer Zeitungen: Wenn Überlebende nach einem Flugzeugabsturz elf Tage im Urwald durchkommen. Wenn eine junge Frau ein Jahr in einem Keller gefangen gehalten wird. Wenn Bergleute siebzehn Tage ohne Licht und Außenkontakt tief unter der Erde am Leben bleiben, ohne sich die Schädel um die kleinen Lebensmittelrationen einzuschlagen.
So etwas fasziniert uns, aber wir wollen es nicht wirklich. Wir brauchen für unser Normalleben und -glück Essen und Trinken, Schlaf, Wärme, Behausung und Sonne.
Und es ist wichtig, dass wir uns das immer klarmachen. Denn allein damit kann man schon ganz gut leben – ohne all die selbst geschaffenen, künstlichen Bedürfnisse, die uns alltäglich so umtreiben und oft unglücklich machen.
In diesem Sinne habe ich mir mal überlegt, was ich als Europäer auf dieser einfachsten und materiellsten Ebene wirklich brauche. Einfach, um es mir vor Augen zu führen und dankbar sein zu können, wenn es da ist. Prüfen Sie mal, inwiefern wir uns unterscheiden.
Also, ich kann schwer verzichten auf:
ein weiches, warmes Bett mit Decke und Kissen
ein bisschen Kaffee oder Tee am Morgen
Sonne und frische Luft
ein Zuhause, das mir Schutz gegen Kälte, Nässe, Wind und Verbrechen gewährt
ein paar Bücher und einen Internetanschluss
morgens Obst, mittags Nudeln oder Salat, abends ein paar belegte Brote
viel Sprudelwasser, abends ein oder zwei Glas Wein
einfache Bekleidung
Impfungen
fließend Wasser und eine Toilette
Ruhe zum Schlaf
Klingt einfach und selbstverständlich. Ist es aber nicht. Selbst wenn wir das typische Essen des Europäers gegen Reis, Mais, Huhn oder Bananen als die wichtigsten Nahrungsmittel der Welt ersetzen.
Wir haben schon Grund zur Dankbarkeit, wenn wir all das täglich haben. Und weiß Gott Grund, alles dafür zu tun, damit es allen Menschenkindern zukommt. Es ist die Basis von Würde und Glück. Liebe, Freundschaft, Geborgenheit, Herausforderung, Hilfe, Bewegung, Vertrauen, Freiheit, Sicherheit, Gesundheit, Geld, Ziele und Sinn gesellen sich auf einer nächsten Ebene dazu.
Kämpfen wir mit allen Mitteln für die Grundversorgung aller Menschen. Werden wir nicht zynisch. Lassen wir Afrika nicht fallen, nur weil es wirtschaftlich nicht mitkommt. Schreiben
wir niemanden ab. Eigentlich können wir nicht recht glücklich sein, wenn wir wissen, dass fünftausend Kilometer entfernt ein Kind verhungert oder ein Flüchtling verdurstet.
Es ist ein langer Weg. Die Politik der reichen Staaten der nördlichen Halbkugel kann ihn nicht allein gewinnen. Aber ich habe aus zwei Gründen Hoffnung:
Immer mehr Länder der früheren Dritten Welt schaffen es aus eigener Kraft, schrittweise wirtschaftliche Stärke zu gewinnen und stabile Positionen auf dem Weltmarkt zu erobern. Das schafft Bildung, Arbeitsplätze und
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