Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
– und man wüsste, ob das was für einen ist.
Arbeit sollte man nicht zu eng fassen im Sinne nur von Fabrik oder Büro, sondern weiten und öffnen. Wer sich liebevoll um seine alten Eltern kümmert oder in der nächsten Suppenküche aushilft, arbeitet genauso wie jeder Angestellte oder Arbeiter. In meinen Augen ist auch Mutter- beziehungsweise Vaterschaft Arbeit in einem bestimmten Sinne und sollte entsprechend gewürdigt werden.
Natürlich ist Arbeit auch Maloche und Routine und Mobbing und Stress und Ungerechtigkeit und Ellenbogengerangel und sexuelle Belästigung und Diskriminierung. Aber wird sie uns weggenommen, merken wir erst, wie wichtig sie trotz allem ist für unser Glück. Das ist wie bei mancher Ehe: Man kann sich
in vielfacher Hinsicht nicht mehr ausstehen und schimpft ständig übereinander, doch wehe, einer stirbt! Das Loch, das zurückbleibt, ist dann groß.
In den schönsten Situationen wird Arbeit zum Flow. Flow ist Verliebtheit ins Tun und ins Gelingen. Alles löst sich auf in einer Einheit zwischen Weg und Ziel. Bei Dauersportarten wie Schwimmen etwa: Nach mehreren Bahnen fließen die Bewegungen perfekt und fast unbewusst. Man gleitet durchs Wasser, keine Unregelmäßigkeit stört mehr. Das Bewusstsein löst sich vom Körper, eine Art Trance entsteht. Jegliches Gefühl von Zeit und Raum verschwindet, auch scheint es keine Anstrengung mehr zu geben. Nichts kann einen bremsen, man ist der Delphin am Horizont.
Dieses einzigartige Gefühl der Grenzenlosigkeit können Menschen in vielen Situationen und Aktivitäten erleben, wenn sie ihm nur Raum geben und es zulassen. Insbesondere Künstler wie Komponisten, Dirigenten, Maler oder Autoren schwärmen davon. Aber jeder von uns kann es erreichen, indem er seiner Tätigkeit mit Liebe und Respekt entgegentritt.
Eine schöne Geschichte am Rande: Ein erfolgreicher Schweizer Herzchirurg merkt mit Mitte fünfzig, dass seine Hände zu zittern anfangen und ihn irgendwann mal junge Kollegen wegdrängen werden. Er will lieber auf dem Zenit als auf dem absteigenden Ast aufhören und überlegt daher mit Frau und Freunden, was ihm eigentlich über die bisherige Arbeit hinaus richtig Spaß macht. Es ist, mit dem Auto durch schöne Landschaften zu fahren und dabei Musik zu hören. Er kauft sich einen Brummi für Fruchtsaftkonzentrat, denn zum Kistenschleppen hat er keine Lust. Und fährt mit diesem Lastwagen jetzt durch Europa. Zum Glück kann er den Rahmen dafür selbst gestalten: Er sucht sich die schönsten Rastplätze und Restaurants aus, oftmals begleiten ihn Freunde und Exkollegen und genießen wie er die Fahrten durch Frankreich oder Italien mit Bach oder Chopin im Ohr.
Was für eine schöne Vorstellung, in einem Lkw auf der Autobahn den Exchirurgen zu wissen. Arbeit kann so unendlich vielfältig und beglückend sein, wir müssen nur die richtige finden und innerlich zu ihr stehen.
P.S. Natürlich bedeuten Pause, Feierabend, Urlaub, Wochenende, Muße, Freizeit und Familie Glück hoch drei. Natürlich freuen wir uns im Zweifel mehr auf 17 Uhr als auf 9 Uhr und mehr
auf den ersten als den letzten Ferientag. Aber all das lebt vom Kontrast. Haben wir es nur und immer, wird es schnell schal. Glück bedeutet auch, sich herauszufordern, etwas zu bewegen, es allen zu zeigen, sich zu überwinden und seine Frau oder seinen Mann zu stehen. Reden Sie mal mit Schulabgängern ohne Abschluss oder mit Langzeitarbeitslosen. Und bedenken Sie: Geschichte geschieht nicht einfach. Sie wird geschrieben. Von uns allen.
Aus
Langenscheidts Leben
Gott, was habe ich in über vierzig Jahren Arbeitsleben alles getan! Und wie hat es mich bereichert. Und wie glücklich gemacht – meistens jedenfalls.
Als Fünfzehnjähriger habe ich fünf Mark pro Stunde beim Rasenmähen für Frau Matthäi verdient und gelernt, dass das kleine Gespräch mit der beleibten Dame, die oft einsam in ihrem dunklen Wohnzimmer saß, für sie wichtiger war als die Länge der Grashalme nach meinem Besuch.
Das Doppelte erbrachte Mathenachhilfe. Finanziell am ertragreichsten aber war in der Schulzeit das Zeitungsaustragen. Herausfordernd war das Minimieren des Treppenlaufens durch Hochwerfen oder Auf-den-Treppenabsatz-Legen der Zeitung, ohne mehr als drei Mahnungen pro Tag zu bekommen. Unvergesslich auch der Moment, als ich vom Hof kommend eine Tür im Tiefparterre öffnen wollte. Sie ging nicht auf, weil sich ein Mann seine Matratze inklusive rosa Bettwäsche vor die Tür zum Keller gelegt hatte und dort
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