Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)
wurden. In der Verhaltensforschung würde man das Verhältnis, das sich zwischen den sowjetischen Sportler und den Römern einstellte, vielleicht mit der Symbiose zwischen Flusspferden und Reihern vergleichen. Diese herrlichen Vögel leben auf dem Rücken der großen Säugetiere und ernähren sich von deren Parasiten. Genauso war es mit der Villa Ada: Die Römer fanden immer einen sauberen Park vor, und die Russen Essen und Kleidung.
Nach und nach vermehrte sich die kleine Community in den Katakomben und wuchs langsam an. Da die Population sehr klein war, kam es natürlich zur wiederholten Inzucht und damit zwangsläufig zu einer beschleunigten Degeneration der Erbmasse. Auch der Lichtmangel, bedingt durch den dauernden Aufenthalt in den dunklen Grabnischen, und die kohlehydrat- und fettreiche Ernährung trugen zu morphologischen Veränderungen bei. Deshalb war die jüngste Generation fettleibig, ziemlich blass und hatte sehr schlechte Zähne. Dafür konnten sie im Dunkeln ausgezeichnet sehen und waren, da sie von Sportlern abstammten, sehr gelenkig und stark.
Es ist kaum zu glauben, aber in fast fünfzig Jahren nahm niemand von ihnen Notiz. Nur unter den Parkwächtern der Villa Ada kursierte die Legende von den Maulwurfmenschen. Dort erzählte man sich, dass sie nachts aus den Lüftungslöchern der Katakomben kämen, um sämtliche Abfälle aus dem Park zu entsorgen, und so den Angestellten das Gros der Arbeit abnähmen. Manch einer schwor allerdings auch, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie sie nachts mit unglaublicher Akrobatik von Baum zu Baum sprangen. Aber das klang nur nach einer der vielen Großstadtlegenden.
Doch als Chiatti die Villa Ada kaufte, geriet das empfindliche Gleichgewicht zwischen dem Park und seinen unterirdischen Bewohnern aus den Fugen.
Von einem Tag auf den anderen fanden die Russen keine Müllkörbe mehr vor, die vor Essensresten überquollen. Und langsam füllte sich der Park mit wilden Tieren. Da sie keine Jäger, sondern Sammler waren, und ihr Stoffwechsel auf eine ausreichende Versorgung mit Glukose und Cholesterin angewiesen war, litten die Bewohner der Katakomben bald unter Mangelerscheinungen und wurden krank, weil sie sich nur noch von Mäusen, Insekten und anderem Kleingetier ernähren konnten.
Unter Verletzung der uralten, bedingungslosen Regel, die sie sich beim Einzug in die Katakomben auferlegt hatten, wonach es strengstens verboten war, bei Tage ins Freie zu gehen, schickte der alte König Arkadi unter Führung seines Sohnes Ossacatogna einen kleinen Spähtrupp mit Sonnenbrillen ausgerüsteter Getreuer aus, um herauszufinden, was zum Teufel in dem Park eigentlich vorging.
Als die Späher zurückkehrten, berichteten sie, der Park sei für die Öffentlichkeit geschlossen und zu einer Art Privatzoo eines mächtigen Mannes geworden, der dort ein großes Fest vorbereite.
Auf der Stelle wurde daraufhin der Ältestenrat einberufen, an dem auch der alte, inzwischen vollständig erblindete und von Schuppenflechte zerfressene König teilnahm. Denn er wusste, was das alles zu bedeuten hatte. Jetzt geschah, was er in den fünfzig Jahren seines Lebens im Untergrund immer befürchtet hatte. Die Sowjetunion hatte triumphiert, war mit ihren Armeen in Italien einmarschiert und herrschte nun unumstritten auf dem gesamten Planeten.
In der Parkvilla residierte jetzt bestimmt ein Bürokrat, ein hohes Tier in der Partei, und das Fest war die Feier des sowjetischen Sieges.
» Und was sollen wir jetzt machen, Vater? « , fragte Ossacatogna.
Der König nahm sich ein paar Minuten Bedenkzeit. » In der Nacht der Feierlichkeiten gehen wir raus, attackieren die Sowjets und holen uns, was wir zum Überleben brauchen. «
Livekonzert mit Larita
62 S asà Chiatti stand oben auf der Terrasse der Villa. Er trug einen seidenen Morgenmantel, gestreifte Boxershorts und eine Infrarotbrille. In der rechten Hand hatte er ein goldbeschlagenes Sturmgewehr TAR-21 mit Swarowski-Diamanten am Kolben, in der linken einen Granatwerfer M79 mit Alabasterkolben und silberbeschlagenem Lauf. Zwischen den Zähnen eine Cohiba-Zigarre, Format Behike, gerollt von den geschickten Händen der kubanischen Zigarrenrollerin Norma Fernández.
Er ging auf die große Freitreppe zu, die in den Garten hinunterführte, und breitete einladend die Arme aus. »Willkommen zum Fest.«
Dass sie es wagen würden, ausgerechnet am Tag seiner Krönung anzugreifen, hätte er nie für möglich gehalten. Wie naiv von ihm. Dabei war das doch
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