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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Vertrag, der Galerist muss nur noch unterzeichnen, gleich bringt sie das Konvolut über die Straße, bloß noch diesen Kaffee mit Mascha trinken und tief durchatmen. Ihrer Karriere steht nichts mehr im Weg. Und von wem sie die Idee hat – Kinkerlitzchen. Interessiert nicht. Sie will nur noch raus aus der Werbebranche, wo sie immer noch das Blödchen ist wie früher in der Schule.
    »Erinnerst du dich?« Mascha lacht. »Wie er da plötzlich vor uns stand mit seinem Dackel?«
     
    Vor zwei Jahren hat sich die Clique noch einmal getroffen, um gemeinsam ins neue Jahr hineinzufallen, bevor Mascha und Kai heiraten wollen, bevor sich vier Jahre nach dem Abitur endgültig die Wege trennen; im Frankenwald, wo die Clique ihren Anfang nahm und wo keiner von ihnen mehr leben will. Kim denkt an das dunkle Dorf, durch das sie fahren, immer steiler hinauf, an die Lichterketten am letzten Haus an der Straße, den Wald, den Schnee, der aus den Wolken stiebt, an die Hütte mit dem Kanonenofen und dem Plumpsklo. Ganz so wie früher sollte es sein, hat Kai beschlossen. Kai, der King der Clique. Der in Immobilien macht.
    Alle acht sind gekommen, haben sich in ihren Autos den Weg durch den verschneiten Wald gebahnt, rauf auf den Berg. Haben sich auf die letzten Meter zu Fuß durch den schneidenden Wind gekämpft. Iris stellt die Bowle auf den Tisch, Kerzen werden angezündet, Musik angestellt, der Ofen bullert. Es wird noch heißer, weil Kai irgendwann sein Aktenköfferchen zückt, das er schon in der Kollegstufe von Kurs zu Kurs schleppte, und ein paar Pröbchen herumreicht wie ein Friseurvertreter das Haarwasser.
    Sie kiffen, trinken, Mascha und Toto liegen im Doppelschlafsack, dabei will Mascha heiraten, allerdings nicht Toto, aber wen interessiert das um kurz vor 22 Uhr an Silvester, draußen jault der Sturm. Dann klopft es an der Tür und alle halten den Atem an. Kim dreht die Musik leiser, die Tür springt auf. Kläffend bahnt sich ein weiß verschneites, rattengroßes Fellbündel seinen Weg rund um Fersen und Zehen.
    »Walt?« Kai stöhnt. »Mensch, Walt! Wo bist du denn abgeblieben all die Jahre?«
    Walt, bärtig, durchnässt, noch immer mit Bowler, grinst. Ganz der Guru, der er schon früher war. »War auf der Suche nach Inspiration. Hundi, Fuß!«
    Kim giggelt los. ›Hundi‹, das darf nicht wahr sein, Walt, der Einserkandidat, die Intelligenzbestie, kommt daher nach vier Jahren, in denen er keinen Kontakt zur Clique gehalten hat, und dann ›Hundi‹!
    »Inspi – was?«, krächzt Mascha.
    »Kunst, Süße! Bali, Tonga, Ostsee.« Walt wirft seinen Mantel auf den Boden, das Fellbündel schießt hervor und beißt wie weggetreten auf den Stoff ein. »Aus, Hundi!«
    Alle brüllen vor Lachen. Schulternklopfen, Küsschen hier und da und Fragen über Fragen, Mensch, Walt, in welcher Senkgrube bist du denn untergegangen, hast dich vier Jahre lang nicht gemeldet, bist immer noch so, wie wir dich kannten, altes Großmaul.
     
    Kim schaut hinüber zur Galerie. Keiner von den anderen verstand an jenem Abend, was Walt meinte. Weil ein Künstler eben mal weg muss, aussteigen, abtauchen, verduften, damit in ihm etwas hochkommt, was er zu Kunst machen kann, damals hat das niemand kapiert.
    »Wie ist das eigentlich passiert?«, fragt Mascha, dreht die leere Tasse in den Händen, »warum ist Walt mit einem Mal ausgeflippt?«
     
    Richtig rumgeschrien hat Walt, zuviel von Kais Pröbchen blubbern in seinem Superhirn, er hat nie viel vertragen, ist das fünfte Rad am Wagen, nicht mehr richtig drin in der Clique nach vier Jahren, aber spielt immer noch den Freibeuter. »Wer hat meinen Hund geküsst?«, quiekt er. Es ist kurz nach halb zwölf, der Dackel ist besoffen. »Wer hat meinen Hund geküsst?« Alle kreischen, Walt dreht sich um die eigene Achse und kippt um.
    Sie tragen Walt raus, an die frische Luft, tätscheln seine Wangen, stopfen ihm Schnee unters Hemd, er reagiert nicht, dann ist es fast zwölf, »Champagner!«, ruft Kai, und so bleibt Walt im Schnee liegen, im Hemd, bei minus 15 Grad, weil keiner sich mehr zuständig fühlt, und Dackel Hundi galoppiert in den Wald.
    Kim wacht als Erste auf am nächsten Morgen. Sie muss aufs Klo, torkelt aus der Tür, aber Walt liegt da nicht mehr. Sie suchen ihn den ganzen ersten Januar, bis die Dunkelheit über sie hereinbricht, es schneit ununterbrochen. Der Winter frisst den Frankenwald auf, saugt an den Bergen, rührt die Wälder um, niemand kommt aus seiner Behausung bei so einem Wetter. Kai

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