Last days on Earth: Thriller (German Edition)
spürte das Zucken, das über sein Gesicht ging. Er legte die Hand auf die Wange und schüttelte den Kopf. »Ich habe Kopfschmerzen.« Er stand hastig auf und wandte sich ab. »Sollten wir uns nicht mal deine Wohnung ansehen?«
Er hörte Karla Luft holen. Eine Weile blieb sie still, dann sagte sie mit einer Resignation in der Stimme, die ihm wehtat: »Ja. Gut. Ich finde ja doch keinen Job.«
Raoul drehte sich um und machte einen Schritt auf sie zu. Karla verschränkte die Arme und setzte ihr verschlossenstes Gesicht auf. Doch Raoul ließ sich davon nicht abschrecken. »Was willst du damit sagen?«
»Dass ich überall auf der schwarzen Liste stehe. Ich bekäme in dieser Stadt noch nicht mal einen Job als Aushilfskellnerin. Der Weiße Zweig ist nachtragend.«
»Sie können dich doch nicht …« Raoul fehlten die Worte. Er sah Karlas Miene und sagte: »Der Schwarze Zweig würde dich aufnehmen. Sofort.«
Karlas Augen schienen für den Bruchteil einer Sekunde granatrot aufzuleuchten. Raoul blinzelte verblüfft, aber die Erscheinung war schon vorüber.
»Oder ich könnte in den Schoß der Gens zurückkehren«, erwiderte Karla mit samtweicher Stimme, bei der sich Raouls Nackenhärchen aufrichteten.
Er senkte den Blick und sagte: »Entschuldige, dass ich mich immer wieder in dein Leben einzumischen versuche. Ich habe dich einfach gern.«
Karla schwieg. Dann sagte sie versöhnlich: »In Ordnung, Langer. Zeig mir schon deine tolle Wohnung.«
Raoul holte den Schlüssel und stieg dann vor Karla die Treppe hoch. »Das Schloss klemmt ein bisschen«, sagte er, als er aufschloss. »Und die Klingel geht nicht. Ich sorge dafür, dass beides in Ordnung gebracht wird.« Er schob die Tür auf und ließ Karla eintreten.
»Ah, sie ist möbliert.« Es klang erfreut.
Raoul sah sich kritisch um. Es war sauber, aber ein wenig staubig. »Ich schicke Magdalena noch einmal herauf, ehe du einziehst. Äh. Falls du einziehen möchtest.«
Karla ging durch die Räume. Es war eine kleine Wohnung, die aus Wohn- und Schlafzimmer, Küche und Bad bestand. Weil es die Dachwohnung war, besaß sie nur recht kleine Fenster. Raoul machte eine kritische Bemerkung dazu.
»Oh, das ist schon gut«, sagte Karla. »Ich bin ein bisschen lichtempfindlich in letzter Zeit.« Sie öffnete die Tür zu der fensterlosen Kammer, die als Abstellraum diente. »Sehr schön«, sagte sie. »Falls ich mal Familienbesuch bekomme.« Ihr Lächeln war so sarkastisch wie ihr Tonfall. »Wer wohnt nebenan?«
»Niemand«, erwiderte Raoul. »Du hast die Etage ganz für dich allein.«
Karla klopfte an die Wand zum Nebenraum. »Was ist dahinter?«
»Speicher. Ungenutzt. Wahrscheinlich stehen noch ein paar alte Möbel darin, die meinem Großvater gehört haben.«
Karla nickte geistesabwesend. Sie stand in der winzigen Diele und blickte durch die Tür ins Wohnzimmer. »Es gefällt mir sehr gut. Für so eine Wohnung in dieser Lage könntest du eine ordentliche Miete bekommen. Warum steht sie leer?«
Raoul legte ihr den Schlüssel in die Hand. »Weil ich es hasse, wenn mir jemand auf dem Kopf herumtrampelt.« Er kämpfte gegen den Impuls an, Karla in den Arm zu nehmen. Sie sah so unglücklich aus. »Du bist mir jederzeit willkommen. Das Bad ist spartanisch und die Küche winzig. Du kannst unten alles benutzen. Wann immer du willst. Jederzeit.«
»Danke«, sagte sie. »Ich hoffe, ich kann mich irgendwann mal bei dir revanchieren.«
»Ach, dummes Zeug«, erwiderte er. »Wenn du mir gelegentlich Gesellschaft leistest, muss ich mich bedanken. Mit Freunden bin ich nicht allzu reich gesegnet, wie du weißt.«
Er erzielte den gewünschten Effekt: Karla lachte. Sie griff nach seinem Pferdeschwanz, zog ihn daran zu sich und gab ihm einen freundschaftlichen Kuss auf den Mund. »Dann geh ich mal packen«, sagte sie. »Lass deine Haushälterin, wo sie ist, das hier ist sauber genug für mich.« Sie schob ihn zur Tür hinaus.
Während sie die Treppe hinunterstiegen, fragte Raoul: »Wann absolvieren wir unsere Kostümprobe für das Dinner?«
Karla schnaubte. »Lieber jetzt als später. So ein Affenzirkus, nur um jemanden zu vernehmen.«
»Anders kommen wir an Felsenstein nicht heran.«
»Ist doch ohnehin sinnlos.«
Raoul blieb vor seiner Tür stehen und sah Karla an. »Wieso?«
»Weil wir im Trüben fischen, ohne genau zu wissen, was wir suchen.« Karla machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich sollte mich besser darum kümmern, mein Leben in den Griff zu bekommen.«
Raoul
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