Laubmann 2 - Bärenzwinger
bevorzugen.»
«Ich bin aber kein Kleriker.»
«Um so auffälliger», konterte der Sozialethiker Böhmer schroff und ohne den ruhigen Tonfall, der ihm sonst eigen war.
‹Sollte er mir wegen der gestrigen Befragung Vorwürfe machen? Ich habe ihn doch verteidigt›, dachte sich Philipp. – ‹Vielleicht nicht genug?›
Bebenhausen verhielt sich richtig wortkarg, kaum daß er Laubmann stumm gegrüßt hatte. Meist mit gesenktem Kopf ging er bedächtig am Rande des befestigten Wegs zwischen Parkplatz und Zugbrücke auf und ab.
Um die Stimmung zu heben, schlug Laubmann deshalb einen sehr gutmütigen Ton an und versuchte etwas Erheiterndes beizusteuern. «Fast hätte ich meine Ohrenschützer in der Kapelle aufbehalten.» Er streckte seinen Kopf keck nach oben. «Ich fürchte, von der Predigt hätte ich auf diese Art nicht viel mitbekommen. Unserem Prälaten hätte das nicht gefallen. Aber sogar ohne Ohrenschützer war ich nahe dran einzuschlafen. Die Messe ist einfach viel zu früh.»
«Ich schlafe nachts ausreichend.» Böhmer blieb reserviert.
«Jonathan Swift hätte mich in seiner Streitschrift über das Schlafen in der Kirche und speziell bei der Predigt wohl ähnlich vehement wie seine Zeitgenossen verurteilt, wenn ich vor dreihundert Jahren gelebt hätte. Der Predigtschläfer würde sich alle Zugänge zu seiner Seele verstopfen, meint er.»
«Und falls er schnarcht, außerdem die Seelenzugänge seiner Banknachbarn.»
‹Hat Böhmer doch Humor, oder will er mich nur loswerden?› Laubmann war unsicher. «Immerhin schreibt Nietzsche in seinem Aufsatz über die Wahrheit und die Lüge, daß es Menschen geben soll, ‹die durch starken Willen das Schnarchen beseitigt haben›.»
«Seien Sie mir nicht böse, Herr Dr. Laubmann, ich halte Ihre Sorte Witzeleien in unserer Lage nicht für angebracht. Ich frage mich, was diese Tagung überhaupt noch soll. – Die Wahrheit! ‹Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig›, heißt es bei Fontane im Stechlin-Roman.» Böhmer sprach wieder mit so ruhiger, sonorer Stimme, als würde er keine Nähe zulassen wollen. «Und ein Swift-Zitat hätte ich auch zu bieten: ‹Die Falschheit fliegt, und die Wahrheit kommt hinterhergehinkt.›»
«So schlecht, wie Sie vermuten, ist der Stand unserer Ermittlungen gar nicht. In all den Irrungen und Wirrungen, die sich aufgetan haben, sind trotzdem schon Wahrheiten ans Licht gekommen. Sie wären erstaunt und bei weitem nicht mehr so pessimistisch.» Laubmann wußte freilich, daß seine Zuversicht übertrieben war. «Blaise Pascal sagt schließlich, ‹nichts gibt Ruhe als das ehrliche Suchen der Wahrheit›.»
«Dann suchen Sie mal fleißig», antwortete Friedemann Böhmer abgeklärt, entschuldigte sich und lief zurück in die Burg.
Als Laubmann sich an Bebenhausen wenden wollte, um ihm Pfefferminzdragees anzubieten, war auch jener bereits gegangen. Seitlich der Zugbrücke sah er ihn auf einem Pfad, der zum Grab des Dr. Marcus führte, im Wald verschwinden.
Philipp Laubmann tat es leid, daß er weder dem einen die Zweifel noch dem anderen die Niedergeschlagenheit hatte nehmen können. Er mußte jedoch einsehen, daß er selber voller Zweifel war, was ihm manche seiner Gesprächspartner durchaus anmerken mochten. Wäre er Seelsorger, würde er bisweilen resignieren. – In solchen Momenten war er dann froh, kein Kleriker zu sein.
***
Aus der Burg wurden Lürmann und Laubmann von mißtrauischen Blicken verfolgt, als Dietmar Glaser mit einem silbergrauen Zivilfahrzeug der Kriminalpolizei auf dem Parkplatz vorfuhr. Er stieg kurz aus, um Ernst Lürmann ans Steuer zu lassen, weil sich Glaser als der Dienstältere lieber chauffieren ließ. Lürmann fuhr gerne, bevorzugt Dienstwägen, da er sich privat kein so teures Auto leisten konnte. Und er fuhr nicht schlecht, obwohl seine Fahrweise für manche Fahrgäste nicht den höchsten Sicherheitsstandards entsprach. Wenn es nicht zu doppeldeutig geklungen hätte, hätte man sie als «fahr-lässig» bezeichnen können.
Laubmann, der selbst im Auto noch eine ganze Weile seine Ohrenschützer aufbehielt, mußte auf dem Rücksitz Platz nehmen; wie immer, wenn er mit den Kommissaren im Dienstwagen unterwegs war, denn vorne war von Zeit zu Zeit das Funkgerät zu bedienen.
Er bedauerte es diesmal ausdrücklich, kannte er sich doch in der Gegend, die sie ansteuerten, nach eigenen Angaben gut aus.
Er mochte es, an Sonntagen einen Ausflug aufs
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