Laubmann 2 - Bärenzwinger
durch neue, vielleicht geniale Ideen. Doch je differenzierter und verklausulierter solche Ideen dargelegt, um- und überinterpretiert werden, weil jeder noch sein eigenes Quentchen herausquetschen oder draufsetzen will, um so mehr verschließt sich einem jenes Gebiet der Erkenntnis und des Wissens wieder. Selbst bei Glaubensfragen war das so.
Außerdem spürte er eine Erkältung entstehen, gegen die keine Tees, sondern nur Tabletten und eine ausgiebige Nachtruhe helfen würden. Er hatte deswegen bereits den Abendvortrag von Professor Röttinger über «Wahrheit und subjektives Bewußtsein» trotz der Anwesenheit Raimund Hanauers, seines Chefs, vorzeitig verlassen, weil er doch bloß eingeschlafen wäre. Das mit der Tagung wurde für ihn einfach nichts mehr, das mußte er sich eingestehen.
Beim Abendessen hatte die feministisch orientierte Theologin Christa Schanz-Haberberger gefehlt, und alle waren in hellster Aufregung gewesen, daß ihr etwas passiert sein könnte. Nicht, weil sie die Kollegin übermäßig schätzten, sondern weil keiner die Angst mehr loswurde, daß ihm selbst etwas Schlimmes widerfahren könnte. Der Grund ihres Fehlens hatte sich jedoch bald als eine banale eitrige Mandelentzündung entpuppt.
Lürmann hatte trotzdem darauf bestanden, sie an ihrem Krankenlager aufzusuchen, was ihr freilich überhaupt nicht recht war. In ihrem fiebrigen Zustand, mit Wollschal und Nachtjäckchen, die in Würde ergrauten Haare nicht nach hinten verknotet, wollte sie von keinem Mann begafft werden. Kommissar Lürmann war aber der Meinung gewesen, sie dringend darüber befragen zu müssen, wo sie sich in der Nacht davor aufgehalten habe. Denn er hegte den Verdacht, die Mandelentzündung könne von einem längeren Aufenthalt im Wald herrühren.
«Ich war im Bett, wo sonst, Sie Flegel!» Sie hatte Lürmann unverzüglich und unmißverständlich aus ihrem Zimmer verbannt, woraufhin sich der Kommissar zu der für ihn äußerst sarkastischen Bemerkung hatte hinreißen lassen: «Lieber gebrannte Mandeln als eitrige Mandeln.»
Albert Glöcklein hatte sich ihnen noch aufgedrängt und sich beschwert, daß er in den Ermittlungen nicht auf dem laufenden gehalten werde. So habe er zum Beispiel nur zufällig von einer Mitarbeiterin des Ordinariats erfahren, daß am Nachmittag im kirchlichen Liegenschaftsamt des Mordfalls wegen recherchiert worden sei. Was solle er bloß seinem Bischof berichten, wenn er sich statt informiert regelrecht ausgegrenzt fühlen müsse? Er betrachte es nicht nur als eine Aufgabe der Kriminalbeamten, sondern auch als seine eigene, die verdächtigten Personen auf Herz und Nieren zu prüfen.
Kriminalkommissar Lürmann hatte sich vorschnell entschuldigt und Besserung versprochen. Ein bißchen zu untertänig hatte das für ihn, Philipp, geklungen. Er selbst nämlich hatte den Prälaten nur sachlich darauf hingewiesen, daß die aus dem Alten Testament stammende Redewendung «auf Herz und Nieren prüfen» auf Gott zu beziehen sei. Allein Gott befrage die Menschen auf ihr Innerstes hin und nicht der Mensch.
Zum Schluß hatte der fromme Professor aus Mainz, Peter Meister, an seine Tür geklopft. Ihn hatte die Befürchtung umgetrieben, ungerechtfertigterweise unter einen unausgesprochenen Verdacht geraten zu sein, weil er nicht mitgeholfen hatte, Professor Forster zu suchen, und mit ihm theologisch nicht einer Meinung gewesen war. Meister hatte den Eindruck, von mehr oder weniger allen geschnitten zu werden, insbesondere von Barbara Burgerroth. Er habe sich jedoch zu der für sie unvorteilhaften Aussage, daß sie sich zur Tatzeit als letzte zum Besprechungszimmer begeben hatte, ausschließlich um der Wahrheit willen gedrängt gefühlt.
«Und Sie können beschwören, Forster nicht selbst dorthin gefolgt zu sein?» hatte er, Philipp, ihn gefragt.
«Ich schwöre nicht», hatte ihm Meister geantwortet. Unter den grau-gelben Haarsträhnen, die über seine Halbglatze gekämmt waren, hatten sich Schweißperlen gebildet, und die dickglasige Brille war ihm auf dem Nasenrücken nach vorne gerutscht. «Aber ich habe noch nie einen Menschen getötet.»
«Da haben wir was gemeinsam.»
Schließlich hatte er wegen der aufkommenden Erkältung Peter Meister bitten müssen, ihn alleine zu lassen. Wie hätte er dem Professor auch weiterhelfen können, da er doch selber nicht genügend Durchblick hatte. Außerdem kannte er seine Pappenheimer. Sie alle waren bereit, durch erträgliche Selbstbezichtigungen oder durch das
Weitere Kostenlose Bücher