Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
darunter waren. Sie sah Michael an, der gerade einer Frau auf der anderen Straßenseite zuwinkte. Die Frau erwiderte sein Winken, ehe sie die Straße überquerte, um ihn zu begrüßen.
    »Michael, wie geht es Ihnen?«
    »Glänzend. Und Ihnen?«
    »Hervorragend. Ich bin restlos glücklich. Es geht doch nichts über eine Privatpraxis.«

    Die Frau warf einen kurzen Blick auf Jane, und in ihren Augen erkannte Jane jenen Ausdruck, hinter dem Menschen sich zu verstecken versuchen, wenn sie etwas unerquicklich finden, es aber nicht zeigen wollen.
    »Oh, verzeihen Sie«, sagte Michael sofort. »Thea Reynolds - das ist meine Frau, Jane.«
    »Nett, Sie kennenzulernen«, sagte Thea Reynolds.
    Jane sagte nichts, war nicht einmal sicher, ob ihre Lippen das Lächeln zustande brachten, das sie beabsichtigt hatte.
    »Thea ist Spezialistin für Eßstörungen. Sie hat letztes Jahr im Krankenhaus aufgehört und ihre eigene Praxis aufgemacht.«
    Jane nickte, aber die beiden waren schon wieder ganz aufeinander fixiert, und von ihr wurde nichts mehr verlangt. Das ist gut, dachte Jane und balancierte wie ein müdes, gelangweiltes Kind erst auf dem einen Bein, dann auf dem anderen, wobei sie an Michaels Arm zerrte und zog, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Sie fand sie einschüchternd, diese Thea Reynolds mit dem perfekt gestylten schwarzen Haar, dem die Hitze nichts anhaben konnte, mit dem selbstsicheren, zähneblitzenden Lächeln, der erlesenen Kleidung und den geschmackvoll ausgewählten Accessoires, mit den gepflegten Fingern, an denen kein Nagel rissig oder angeknabbert war. Thea Reynolds war eine Frau mit Ausstrahlung, mit einem Selbstvertrauen, das einem gesunden Selbstgefühl entsprang, einer inneren Sicherheit, von der Jane sich kaum vorstellen konnte, daß sie selbst sie je besessen hatte. Hatte sie Frauen wie Thea Reynolds schon immer einschüchternd gefunden? Oder hatte sie vielleicht selbst einmal dieses ungezwungene Selbstvertrauen gehabt.
    Zumindest ein bißchen was mußte sie davon gehabt haben, überlegte sie, als ihr einfiel, wie oft sie ihre Hitzköpfigkeit und ihre Wehrhaftigkeit in Schwierigkeiten gebracht hatten. Aber was war aus all dem Selbstvertrauen geworden?
    Abgemurkst, dachte sie und bemerkte gleichzeitig den neugierigen
Blick einer entgegenkommenden Frau, total verstümmelt bei einem Autounfall, noch ein Opfer meiner eigenen Unachtsamkeit. Die Frau starrte sie im Vorbeigehen ganz offen an. Jane drehte ein wenig den Kopf, um sie zu beobachten und sah, wie sie stehenblieb, zögerte, dann weiterging. Sie wollte mir wahrscheinlich ein Kompliment über meinen entzückenden Matrosenanzug machen, dachte Jane, während sie zusah, wie Thea Reynolds sich zu Michael neigte und ihn auf die Wange küßte. Aber wahrscheinlich hat sie nicht mich angesehen, sondern Michael. Michael war es, den sie wiederzuerkennen glaubte. Das nämlich hatte der Blick der Frau gesagt - ich glaube, ich kenne Sie, aber ich bin mir nicht sicher, helfen Sie mir.
    »Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagte Thea Reynolds und bemühte sich nicht einmal, Aufrichtigkeit vorzutäuschen.
    »Ganz meinerseits«, murmelte Jane, den Blick auf die hellroten Lippen der Frau gerichtet. Sie sah ihr nach, wie sie wieder die Straße überquerte und in einem Restaurant verschwand. Ihr Gang war so selbstbewußt wie die ganze Peison.
    »Sie ist eine nette Person«, bemerkte Michael, der sich nun wieder in Bewegung setzte und Jane mit sich zog. Die Bemerkung bedurfte keines Kommentars, und Jane schwieg. »Und eine ausgezeichnete Ärztin«, fügte er hinzu, auf ihre Beteiligung am Gespräch offensichtlich nicht angewiesen. »Sie nahm Eßstörungen schon ernst, als die meisten Ärzte sie noch als typisch weibliches Zipperlein abtaten.«
    Ein typisch weibliches Zipperlein, dachte Jane gekränkt und merkte, daß sie wieder stehengeblieben waren.
    »So, da wären wir«, sagte Michael. »Komm, gehen wir rein.«
    Jane blickte eine breite Treppe hinauf zu einer Fassade hoher blitzender Fenster, über denen in großen schwarzen Lettern der Name des Geschäfts angebracht war. >Oliver’s< stand dort, und darunter, kleiner, für sie kaum lesbar, weil die Buchstaben nicht
aufhörten zu vackeln, >Seit mehr als 50 Jahren Juweliere von Rang<. Was, zum Teufel, hatten sie hier zu suchen?
    »Michael, ich kann nicht.« Sie fühlte seine Hand auf ihrem Arm. Er begann, sie die Stufen hinaufzuziehen. »Ich bin todmüde. Ich schaff das nicht. Ich möchte mich nur

Weitere Kostenlose Bücher