Lauf, Jane, Lauf!
weiße Tabletten.
»Gleich drei?«
»Das hat Michael gesagt, ja.«
Jane legte die drei Tabletten auf ihre Zungenspitze und wartete, bis Paula gehen würde. Doch das tat sie nicht.
»Michael hat gesagt, ich soll aufpassen, daß Sie sie auch wirklich nehmen.«
Jane spürte, wie sich die Tabletten auf ihrer Zunge aufzulösen begannen. Hatte Michael Verdacht geschöpft, oder wollte er nur ganz auf Nummer sicher gehen? Verstohlen schob sie die Tabletten in eine Backentasche und hob das Glas mit dem Saft zum Mund.
»Nein, nein«, sagte Paula, legte Jane die Hand um den Mund und drückte ihr die Kiefer auseinander, um nachzusehen, ob sie die Tabletten geschluckt hatte. »Schlucken Sie die Tabletten, Jane. Keine Dummheiten.«
Jane hatte keine Wahl. Sie schluckte die Tabletten. Danach sah Paula ihr nochmals in den Mund.
»Gut so.«
Jane geriet in Panik. Drei Tabletten! Und sie hatte sie hinuntergeschluckt. Wie lange würde es dauern, bis sie zu wirken begannen? Bestenfalls blieben ihr noch ein paar Minuten geistiger Klarheit. Sie mußte aus dem Haus. Sie mußte diese Tabletten irgendwie loswerden, ehe sie zu wirken begannen.
»Mir ist schlecht!« schrie sie so jämmerlich, daß Paula sofort zu ihr kam.
»Müssen Sie sich übergeben?« fragte Paula, während sie Jane aufhalf und sie zum Badezimmer führte.
»Oh, mein Gott, was ist das nur?« rief Jane. »Sie müssen mir helfen. Sie müssen mir helfen. Lassen Sie mich nicht allein.«
»Ich bin ja da.«
Jane wartete, bis Paula sich neben ihr über die Toilette beugte, ehe sie sich mit einem Ruck aufrichtete und Paula gegen die Badewanne stieß. Paula stolperte, verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts in die Wanne.
»Verdammt noch mal, nicht schon wieder!« schimpfte sie laut, aber da rannte Jane schon aus dem Bad, knallte die Tür hinter sich zu und packte den hochlehnigen Stuhl, den sie sich extra zu diesem Zweck hatte bringen lassen. Sie schob ihn genau unter die Türklinke.
»Was, zum Teufel, tun Sie da?« Paula trommelte wütend gegen die Tür. »Das ist doch verrückt, Jane. Wo wollen Sie denn hin?«
Von Paulas Protesten gefolgt, rannte Jane durch den Flur zur Gästetoilette. Sie stürzte zum Klosett, beugte sich tief über die Schüssel und steckte sich die Finger in den Hals. Sie würgte, ihr Körper krümmte sich in Krämpfen, die Augen tränten, und die Kehle brannte vom sauren Geschmack frisch gepreßten Orangensafts. Hatte sie es geschafft, die Tabletten auszuspeien? Sie war sich nicht sicher. Sie mußte schnell machen.
Sie rannte ins Schlafzimmer zurück und schlüpfte, ohne Paulas lautstarke Forderungen nach Freilassung zu beachten, in eine dunkelgrüne Hose. Dann hetzte sie aus dem Zimmer, jagte die Treppe hinunter in die Küche und suchte Paulas Handtasche. Sie fand sie schließlich im Garderobenschrank im Flur. Sie öffnete sie und nahm sich die Schlüssel zu Paulas Wagen. Dann stopfte sie die wenigen Scheine, die Paulas Geldbörse enthielt, in eine der Hosentaschen und lief hinaus zu dem rostigen alten Buick, der in der Einfahrt stand.
Der Wagen war nicht abgeschlossen. Jane rutschte hinter das Steuer und schlug sich das Knie am Armaturenbrett an, als sie den Zündschlüssel einsteckte. Mit einem Aufatmen der Erleichterung hörte sie den Motor anspringen, steuerte den Wagen rückwärts zur Straße hinaus, bog auf gut Glück nach rechts ab und kramte dann, als sie zum ersten Stopplicht kam, im Handschuhfach nach einem Stadtplan.
Der Plan war genau wie das Auto nur noch ein Wrack. Er war verdreckt, an vielen Stellen zerrissen, und eines seiner Teilstücke fehlte ganz. Doch die Liste mit den Straßennamen war vollständig, und Jane fand mit wenig Mühe das Planquadrat C3, in dem die Roundwood Street zu suchen war. Die Straße selbst war weit schwieriger zu finden. Sie verbarg sich in einem Gewirr roter und blauer Linien, schwarzer Buchstaben und einer Vielfalt befremdlicher Symbole, die, wie die Legende unten auf der Karte
erläuterte, für solche Dinge wie Gemeindegrenzen, Ortsgrenzen, Aquädukte und Verkehrsverbindungen standen. Als sie die dünne gebogene Linie, die mit >Roundwood< markiert war, endlich gefunden hatte, fingen die Buchstaben an zu verschwimmen, und ihr Mund begann trocken zu werden. Sie sagte sich, das seien nur die Nerven, und trat energisch aufs Gas. Der Wagen bockte, hustete und blieb stehen. »Nein!« schrie sie, ließ den Motor von neuem an, hörte ihn wieder brummen. »Danke«, flüsterte sie.
Die Roundwood
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