Laufend loslassen
und der Bretagne prägt. Sie stößt etwas in meiner Seele an. Der letzte Abschnitt des Weges beginnt. Noch eine Woche bis Santiago wahrscheinlich. Dann wird unsere so intensive Gemeinschaft sich auflösen. So lange, wie wir jetzt zusammen waren, werden wir uns nie mehr im Leben begegnen. Außer in meiner Kindheitsfamilie und meiner eigenen sowie mit Albrecht, einem Freund aus Jugend- und Studententagen, mit dem auch heute noch eine enge Verbindung besteht, war ich noch nie mit anderen Menschen so lange an einem Stück zusammen wie mit Dennis und Verena. Ich werde in eine leere Wohnung nach Hause zurückkehren. Eine Wehmut steigt in mir auf und der Wunsch, die Nähe dieser Caminofreundschaft festzuhalten.
Wir setzen den Weg fort, vorbei am Grenzstein Kastilien-Leon/Galicien und an einem Kilometerstein, der nach Santiago noch 152,5 Kilometer anzeigt.
Weiter, wenn auch sanfter, geht es bergauf, bis O’Cerbreiro erreicht ist. Jeder Pilger wird hier mit einem Horntuten empfangen und mit Texten in seiner Sprache. Ein Segensgebet macht mich nachdenklich:
„Herr Gott,
der du denen, die dich Lieben, dein Erbarmen gewährst und nie fern bist von denen, die dich suchen, helfe diesen Pilgern und Pilgerinnen, die auf dem Weg nach Compostela sind.
Führe ihre Schritte mit Güte, dass am Tag dein Schatten sie schütze und in der Nacht das Licht deines Blickes sie erhelle, damit sie — begleitet durch dich — glücklich vor dem Grab des Apostels Santiago niederfallen können. Durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.“
Den Schutz Gottes und seine Führung habe ich auf dem Weg in verschiedener Weise immer wieder erleben dürfen. Aber eine Frage bleibt offen in min Werde ich am Ende der Pilgerreise im Angesicht der bevorstehenden Heimkehr wirklich glücklich vor dem Grab des Apostels niederfallen können?
Der Ort O’Cebreiro wirkt für uns künstlich, eine Art Museumsdorf, auf Pilger- und Touristennepp ausgerichtet. Wir fühlen uns alle drei nicht richtig wohl. Wir kaufen das Notwendigste ein, trinken Kaffee, um uns ein bisschen aufzuwärmen. Immerhin sind wir 1330 Meter hoch und es ist richtig kalt geworden. Jetzt kommt auch die Fleecejacke, die im 30 Grad heißen Kastilien immer etwas seltsam anmutete, endlich voll zu ihrem großen Auftritt. Während der Wind zunimmt und die Wolken tief hängen, laufen wir noch bis zur kleinen Herberge in Hospital de la Condesa. Wir erreichen sie um halb eins, eine halbe Stunde später wird sie geöffnet. Sebastian und Michaela, denen wir immer wieder begegnet sind, sind auch schon da. Während wir warten, schaue ich mir noch einmal die Texte an, die wir in O’Cebreiro bekommen haben. Mit Hinblick auf unsere Weggemeinschaft gefällt mir der zweite Text sehr gut:
„ Wandere nicht vor mir,
ich kann dir nicht folgen.
Wandere nicht hinter mir,
ich kann dich nicht führen.
Wandere an meiner Seite
und lass uns einfach Freunde sein.“
Die Herberge hat noch nicht lange aufgemacht, da ist sie auch schon voll. Sie wirkt auf mich ungemütlich, kalt und herzlos, das Beste sind noch die Betten. Draußen pfeift ein eisiger Wind, der mir das Erkunden des Dorfes vorläufig verleidet. Die Küche ist nur mit dem Allernötigsten ausgestattet, mehr als fünf Personen können gleichzeitig nicht essen, weil es an Tellern fehlt. Trotzdem gelingt es uns, ein gutes Abendessen zusammenzubringen und den Tisch mit Blumen und Steinen zu schmücken, die Dennis und ich draußen gesammelt haben. So schaffen wir uns ein Mindestmaß an Wohnlichkeit.
Am Abend gehen wir dann noch in die einzige örtliche Bar und unterhalten uns auch mit zwei Mädchen aus Freiburg, die wir hier zum ersten Mal treffen. Dort ist es warm und angenehm. Wir bleiben bis kurz vor Schließung der Herberge.
Mittwoch, 15. August
Es ist dunkel und es gießt draußen, als wir zusammenpacken. Frühstück mit Müsli, dann hinaus in die Dunkelheit und den Regen. Ich weiß, dass ich dafür nicht gut ausgerüstet bin. Wir steigen zum Alto de Poio hinauf. Ich bin schon ziemlich nass. Dann laufen wir weiter. Dennis und Verena ziehen davon und unterhalten sich angeregt, ich bleibe gegen meinen Willen mehr und mehr zurück. Ich schaffe es nicht, das Tempo mitzuhalten. Bald sehe ich sie nicht mehr. In Fonfría ist nicht nur die Quelle kalt, sondern auch ich durch und durch. So nass und so durchgefroren war ich auf der ganzen Pilgerreise nicht. Ich schaue kurz in die Bar, die beiden sind nicht da. Ich stapfe weiter durch den Regen,
Weitere Kostenlose Bücher