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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Mall
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bald werde ich buchstäblich keinen trockenen Faden mehr am Leib haben. Außerdem komme ich mir abgehängt vor von meinen Weggefährten. Auf der emotionalen Oberfläche ist es Arger, den ich spüre, darunter ist Bitterkeit. Ich hätte mir mehr Rücksicht gewünscht. Es schmeckt bitter, nach einer so langen Zeit gemeinsamen Gehens abgehängt zu werden. Darunter ist ein See von Traurigkeit über meine Einsamkeit.
    In Triacastela halte ich an der ersten Bar. Meine Finger sind so kalt, dass ich kaum die Tasse Kakao halten kann, die ich als Erstes trinke. Weil ich immer noch total friere, trinke ich auch noch einen Kaffee und esse ein Schokoladengebäck. Draußen hört es auf zu regnen und die Sonne scheint leicht. Als ich schließlich wieder aufbreche, bin ich zwar immer noch am ganzen Körper nass, aber nicht mehr ganz so durchgefroren.
    Im Ort schaue ich mich nach den anderen um, finde aber keine Spur. Es sind Enttäuschung und Trauer, die mich voll ergriffen haben.
    Also laufe ich alleine weiter. Es ist kurz nach elf, als ich Triacastela verlasse und Richtung Samos gehe.
    Der Weg ist zwar schön, aber nass. Die Orte erscheinen mir schmutzig und unattraktiv. Immer noch scheint ein wenig die Sonne, aber kurz vor Samos kommt wieder der nächste Schauer. Mein Gefühl von Bitterkeit und Traurigkeit hat mich immer noch fest im Griff, und so bin ich wenig offen für den Blick auf das Kloster, der sich von oben bietet. Es ist grau in grau und passt zu meiner Stimmung.
    Als ich im Ort ankomme, sehe ich Bianca, die sich gerade von ihrem Freund verabschiedet, der allein weiterläuft, weil er früher in Santiago sein muss. Auch sie ist etwas grauer Stimmung.

    Sie ruft kurz Dennis an, um ihm zu sagen, dass ich in Samos bin. Ich erfahre, dass die beiden lange auf mich gewartet haben und jetzt auf halbem Weg von Triacastela nach Samos sind. Bianca und ich beschließen, uns mit einem Glas Wein zu trösten.
    Als wir später zur Herberge gehen, sind Dennis und Verena schon da und ich freue mich ehrlich, sie zu sehen. Dennis erklärt: „Wir haben uns so gut miteinander unterhalten und dabei zuerst gar nicht gemerkt, dass wir dich verloren haben.“ In Triacastela haben sie dann auf mich gewartet. Sie berichten, was sie alles unternommen haben, um mich in dem Städtchen zu finden. Verena erzählt eine hübsche Situation. Als sie in die dortige Herberge ging, um mich mit den Worten „Busco a un amigo.“ zu suchen, sei ihr vom Hospitalero ein junger Mann gezeigt worden: „Wie wär’s mit dem?.“ Wir lachen. Obwohl ich den beiden also wirklich nicht mehr böse sein kann und will, ändert sich an meiner grauen Stimmung nur kurzzeitig etwas. Wo ist nur dieses Grundgefühl tiefer Freude geblieben, das mich seit Langem auf dem Weg immer erfüllte, egal, was auf der Oberfläche an Unangenehmem und Widrigem geschah? Tief in mir entsteht eine Ahnung, dass da heute Morgen noch etwas anderes, sehr Wesentliches aufgerührt worden sein muss, das ich noch nicht fassen kann.
     
    Der Schlafsaal ist zwar hübsch bemalt, ansonsten aber fehlt es an allem, was ihn wohnlich machen würde, vor allem an einer Küche. Also gehen wir essen. Da es aber warme Speisen erst ab 20 Uhr gibt, müssen wir uns mit Bocadillos, belegten Broten, zufriedengeben.
    Wir bleiben so lange, dass wir gerade noch pünktlich vor dem „Einschluss.“ zur Herberge zurückkommen.
     

Donnerstag, 16. August
    Um sechs Uhr ist offizielles Wecken. Wir sind bald aus dem Haus, essen in der Bar, in der wir gestern Abend waren, ein Frühstück. Heute laufen wir zu viert. Bianca ist auch mit uns unterwegs. Es fehlt mir die Gelegenheit, mit Dennis und Verena über meine gestrigen Gefühle zu sprechen. Für mich ist das eine Angelegenheit unter uns dreien. So hängen sie mir noch immer nach. Es gelingt mir nicht, sie „am anderen Flussufer.“ zurückzulassen. Ich merke, dass ich irgendwie neben mir stehe. Nur dabei bleiben, nicht wieder alleine sein, bestimmt mein Denken. Es ist wohl die Angst vor der Einsamkeit, die diese Gedanken gebiert.
    Die gute Laune meiner Weggefährten und ihr fröhliches Lachen kann mich da nicht herausholen heute.
    In Sarrià besorgen wir uns etwas zu essen und ich mir ein Paar neue Wandersocken.
    Wir laufen heute nach Barbadelo und kommen wieder in eine der sterilen, herzlosen Herbergen der Regierung von Galicien. Eine Küche gibt es, aber ohne alle Ausstattung. Stattdessen einen Wohnwagenkiosk mit überhöhten Preisen. Mich deprimieren diese Herbergen. Wir

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