Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
sich über sich selbst. Wie konnte sie nur auf eine derart krasse Idee kommen!
Das Knarzen der Eingangstür riss sie aus den Gedanken. Laura sah Miss Mary gerade noch zum Portal hinaushuschen und beeilte sich, ihr zu folgen.
Als Laura ins Freie trat, schlug ihr die kalte Nachtluft entgegen. Obwohl sie sich tiefer in den Anorak kuschelte, fröstelte sie.
Ich hätte besser meine Jeans und einen Pulli übergezogen, schoss es ihr durch den Kopf. Aber dazu ist es jetzt zu spät.
Mary Morgain war bereits am Ende der Freitreppe angelangt, und Laura musste sich sputen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Sie hastete die Stufen hinunter, passierte den Steinernen Riesen, der das Vordach trug, und hatte bald darauf den Weg erreicht, der in den Park führte. Auf den Gedanken, sich nach dem Riesen umzublicken, kam Laura nicht.
Dafür aber blickte der Riese dem Mädchen nach. Er blinzelte, legte die breite Stirn in nachdenkliche Falten und ließ Laura nicht aus den Augen. Er drehte den großen Kopf ein wenig zur Seite, um sie besser sehen zu können. Aber das, was er sah, schien ihn nicht gerade zu erheitern. Im Gegenteil: Der Steingigant wirkte ernst.
Sehr ernst.
Der schmale Weg führte am Hauptgebäude der Burg entlang. Lauras Anorak leuchtete wie ein rotes Signallicht im Dunkel der Nacht, während sie der Lehrerin folgte, die gut zwanzig Meter vor ihr völlig lautlos dahinglitt. Der Kies knirschte unter Lauras Stiefeln, die kalte, feuchte Nachtluft kribbelte in ihrer Nase und roch - nein, leider nicht nach Schnee. Es war Kastor Dietrich gewesen, der Laura beigebracht hatte, dass man Schnee riechen kann. Überhaupt hatte der Bauer ihr so einiges vermittelt. Er hatte sie gelehrt, auf die Zeichen der Natur zu achten, aus denen der Kundige vieles abzulesen vermag. Aber nun roch Laura nur modrige Blätter und fauliges Holz.
An einem Fenster im zweiten Stock des Burggebäudes wurde der Vorhang zur Seite geschoben. Es war das Fenster des Lehrerzimmers. Der Raum war dunkel, aber dennoch waren hinter der Scheibe die schemenhaften Umrisse einer finsteren Gestalt zu erkennen, die aufmerksam hinunter in den Park zu spähen schien.
Laura bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde. Doch plötzlich glaubte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu erkennen. Sie drehte den Kopf und blickte hinüber zum Hauptgebäude - und sah nur noch, wie sich der Vorhang hinter dem Fenster des Lehrerzimmers sachte hin und her bewegte. Die finstere Gestalt war bereits verschwunden.
Als das Mädchen sich wieder Miss Mary zuwandte, tauchte diese gerade in die Nebelschwaden ein, die durch den Park drifteten. Laura beschleunigte die Schritte. Wenige Augenblicke später war auch sie vom grauen Dunst umhüllt. Er behinderte ihre Sicht. Sie konnte Miss Mary nicht mehr erkennen, und auch sonst war keine Menschenseele zu entdecken. Der Nebel wurde dichter. Wie geisterhafte Schemen tauchten die Büsche und Sträucher, die den Weg säumten, daraus auf. In der Ferne bellte ein Fuchs, und zwei geflügelte Schatten strichen lautlos über Lauras Kopf hinweg. Das Mädchen zuckte zusammen, aber da waren die Schatten bereits wieder verschwunden. Laura redete sich zu ihrer Beruhigung ein, dass es nur das Steinkauzpärchen gewesen sein konnte, das in der alten Eiche hinter der Turnhalle nistete, und ging hastig weiter.
Als sie an eine Weggabelung gelangte, wusste sie nicht, welche Richtung sie einschlagen sollte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wohin Miss Mary sie führen wollte. Aber von der Lehrerin war keine Spur mehr zu entdecken, und so stand das Mädchen einen Augenblick unschlüssig da, bis es sich schließlich entschied, nach rechts abzubiegen. Wenn Laura sich nicht täuschte, führte der schmale Pfad zum Haus von Professor Morgenstern, das weit abseits des Hauptgebäudes in einem stillen Winkel des Parks lag. Vielleicht ist das ja das Ziel unseres Ausflugs?, überlegte Laura zaghaft und hastete beklommen weiter.
Der Nebel war jetzt so undurchdringlich, dass sie nur noch wenige Meter weit sehen konnte. Nur den Kiespfad vor sich vermochte sie noch zu erkennen, die Büsche und Sträucher des Parks aber waren hinter einem grauen Schleier verborgen. Doch das Haus des Direktors tauchte nicht auf, obwohl sie es längst hätte erreicht haben müssen. Der Pfad schien einfach kein Ende zu nehmen und immer tiefer in den wabernden Dunst zu führen. Da wurde Laura klar, dass sie die Orientierung verloren hatte. Sie wusste nicht mehr, wo sie war. Angst stieg in
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