Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
bei ihr ja nicht anders verhielt. Auch sie musste die ihr innewohnenden Fähigkeiten erst mühsam ausbilden und sie immer wieder üben, bevor sie sich ihrer richtig bedienen konnte.
»In anderen, weniger bekannten Versionen der Saga«, fuhr Rika fort, »wird dagegen davon berichtet, dass schon Siegfrieds Vater Siegmund ein mächtiges Schwert besessen habe. Vielleicht hat er es ja an seinen Sohn weitergegeben – womit sich erklären ließe, weshalb die Waffe älter ist als unser Held.«
»Schon möglich«, sagte Laura und nickte. »Klingt irgendwie einleuchtend.«
»Dieses Schwert wiederum soll einstmals der Göttervater Odin höchstpersönlich auf die Erde gebracht haben – «
» – was sowohl eine Erklärung für sein Alter wie auch für die unbekannte Legierung wäre, die möglicherweise aus einer fremden Welt stammt«, warf Laura aufgeregt ein.
»Warum nicht?« Rika Reval lächelte vieldeutig. »Schließlich lässt auch die Sigbertlegende eine ähnliche Interpretation zu. Über die Herkunft des Schwertes wird darin zwar nichts ausgesagt. Dafür aber wird berichtet, dass der Held aus fremden Landen nach Drachenthal kam – was ohne weiteres auch mit einer fremden Welt gleichgesetzt werden könnte.« Wieder lächelte Rika. »Wie du siehst, Laura: Es sind viele Deutungen möglich. Es ist entscheidend, aus welcher Sicht man die Dinge sieht. Mich zumindest bestärken diese Erkenntnisse in der Annahme, dass meine Hypothese stimmt und die von mir gefundene Schwertspitze tatsächlich zu dem Schwert des Drachentöters gehört. Zumal in einigen Fassungen der Nibelungensage auch die Rede davon ist, dass Odin selbst dafür gesorgt habe, dass das Heldenschwert zerbrach.«
»Wie das?«
»Zur Strafe; weil sein Besitzer es nicht für eine gerechte Sache eingesetzt hat, sondern nur zu seinem persönlichen Vorteil.«
»Und das war ihm verboten?«
»Natürlich!« Rika nickte. »Mit den wertvollen Gaben, die einem verliehen werden, sei es von den Göttern oder wem auch sonst, muss man verantwortungsvoll umgehen. Sie sind zu kostbar, als dass man sie einfach vergeuden dürfte.«
Das Mädchen antwortete nichts. Die Worte der Frau waren ihr nur allzu vertraut. Hatte nicht auch Professor Morgenstern auf ähnliche Weise von den besonderen Fähigkeiten gesprochen, die sie einem gnädigen Schicksal verdankte? Hatte er sie nicht auch gemahnt, diese stets für die richtige Sache einzusetzen? Erging es ihr demnach nicht ähnlich wie den Helden der alten Sagen und Legenden? Die Erkenntnis zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht.
Was Rika offensichtlich falsch interpretierte. »So ist’s recht, Laura«, sagte sie. »Auch du hast allen Grund zur Freude, denn deine Vermutung war richtig.«
»Meine Vermutung?« Das Mädchen runzelte die Stirn. »Welche Vermutung denn?«
»Nun – dass es sich bei der Gravur auf dem Bruchstück um ein Rad der Zeit handelt«, erklärte die junge Frau. »Das zumindest steht nun einwandfrei fest.«
Also doch!
Da trat ein junger Mann zu der Archäologin und begrüßte sie mit einem Kuss auf die Lippen.
»Hallo, Liebes«, sagte er.
»Hallo.« Rika lächelte ihn verliebt an, bevor sie sich an Laura wandte. »Darf ich vorstellen: Das ist Thomas Zachner, mein Freund.« Dann deutete sie auf das Mädchen. »Thomas, das ist Laura Leander, die Tochter meines alten Studienkollegen Marius.«
Der Blonde nickte ihr freundlich zu. »Hallo, Laura.« Dann kniff er fragend die Augen zusammen. »Kann es sein, dass wir uns schon mal begegnet sind?«
Und ob sie sich schon begegnet waren!
Laura hatte den Mann sofort erkannt. Er war der Typ, der am Vortag an derselben Haltestelle wie Lukas und sie in den Bus gestiegen war und dessen finstere Gedanken sie gelesen hatte: Ich will nur hoffen, dass die Tussi bald zu Potte kommt. Und wenn sie mir Scherereien macht, dann muss sie eben dran glauben. Schließlich steht einiges auf dem Spiel! Genau das hatte der Kerl gedacht!
Laura musterte ihn so unbefangen wie möglich. Er durfte um Himmels willen nicht merken, dass er ihren Argwohn erregt hatte. Hatte er mit dieser »Tussi« etwa seine Freundin gemeint? Und wobei konnte Rika ihm Scherereien machen? War die Archäologin am Ende in Gefahr?
Laura konnte ihren Gedankengang nicht zu Ende bringen, denn Thomas Zachner beendete ihren Besuch abrupt, wenn auch auf durchaus charmante Weise. »Tut mir wirklich Leid, Laura«, sagte er freundlich lächelnd. »Aber Rika und ich müssen dringend was besprechen.«
»Natürlich.«
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