Lauter reizende alte Damen
gefährlich sein?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Tommy. »Ich habe an keine Gefahr gedacht, aber meine Frau schon.«
»Telepathie?«
»Möglich. Sie ist so; sie hat manchmal Eingebungen. Haben Sie damals zufällig eine Mrs Lancaster gekannt oder von ihr gehört? Damals oder auch in neuerer Zeit?«
»Mrs Lancaster? Nein, ich glaube nicht. Das ist ein Name, den man eigentlich behalten müsste. Was ist mit ihr?«
»Ihr hat das Bild gehört. Sie hat es einer Tante von mir geschenkt. Dann verließ sie ganz plötzlich das Altersheim. Ihre Verwandten haben sie fortgeholt. Ich habe versucht, sie zu finden, aber das ist nicht einfach.«
»Wer hat nun die viele Phantasie, Sie oder Ihre Frau?«
»Ich rege mich auf, ohne einen Grund dafür zu haben. Das meinen Sie doch, nicht? Es stimmt auch.«
»Nein«, sagte Mrs Boscowan. Ihre Stimme klang auf einmal anders. »Ich würde nicht sagen, dass Sie keinen Grund haben.«
Tommy sah sie bestürzt an.
»Mit dem Bild stimmt etwas nicht«, sagte sie. »Ich erinnere mich sehr genau. Ich erinnere mich an alle Bilder Williams, obwohl er so viele gemalt hat.«
»Wissen Sie, an wen es verkauft worden ist?«
»Nein. Aber es ist verkauft worden, das weiß ich.«
»Ich bin dankbar, dass Sie mir so viel gesagt haben.«
»Sie haben mich nicht gefragt, warum ich meine, dass mit diesem Bild etwas nicht stimmt.«
»Ist es etwa nicht von Ihrem Mann?«
»Doch. Es ist das Bild, das William gemalt hat. ›Haus am Kanal‹, hieß es in seinem Katalog. Aber es war anders. Etwas an dem Bild ist verändert…«
»Was?«
Mrs Boscowan deutete mit einem lehmverkrusteten Finger auf eine Stelle unter der Brücke. »Da!« sagte sie. »Sehen Sie das? Unter der Brücke ist doch ein Boot festgemacht?«
»Ja«, bestätigte Tommy verwundert.
»Das Boot war nicht da, als ich das Bild zum letzten Mal sah. William hat es nicht gemalt. Es war nie ein Boot auf dem Bild.«
»Das hieße, dass ein anderer das Boot später dazugefügt hat?«
»Ja. Seltsam. Ich möchte wissen, warum. Ich möchte wissen, wer.«
Tommy konnte ihr keine Erklärung geben. Er sah Mrs Boscowan an. Sie gehörte zu den Menschen, die viel mehr wussten, als sie preiszugeben bereit waren. Hatte sie ihren Mann geliebt? War sie eifersüchtig gewesen? Hatte sie ihn verachtet? Weder aus ihrem Wesen noch aus ihren Worten war darüber etwas zu entnehmen. Aber er spürte, dass das kleine Boot, das jemand unter die Brücke gemalt hatte, sie beunruhigte. Es war ihr unangenehm, dass es dort war. Plötzlich fragte er sich, ob ihre Behauptung überhaupt stimmte. Konnte sie wirklich nach so langen Jahren noch wissen, ob Boscowan ein Boot unter die Brücke gemalt hatte oder nicht? Es war doch eine so kleine und scheinbar unbedeutende Einzelheit. Er sah sie wieder an und begegnete ihrem Blick. Ihre merkwürdigen Augen ruhten nicht abweisend, sondern gedankenvoll auf ihm, sehr gedankenvoll.
»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte sie.
Das war leicht zu beantworten. Tommy wusste es genau. »Ich werde heute Abend nach Hause fahren, um zu hören, ob Nachricht von meiner Frau gekommen ist. Wenn nicht, fahre ich morgen nach Sutton Chancellor. Ich hoffe, sie dort zu finden.«
Mrs Boscowan murmelte: »Das hängt davon ab…«
»Wovon hängt es ab?«, fragte Tommy scharf.
Mrs Boscowan runzelte die Stirn. »Ich möchte wissen, wo sie ist.«
»Wer?«
Mrs Boscowan hatte den Blick abgewandt. Jetzt sah sie ihn wieder an. »Ich sprach von Ihrer Frau. Hoffentlich geht es ihr gut.«
»Warum sollte es ihr nicht gut gehen, Mrs Boscowan? Stimmt mit diesem Dorf etwas nicht?«
»Mit Sutton Chancellor? Mit dem Dorf?« Sie überlegte.
»Ich hatte an das Haus gedacht, an das Haus am Kanal.«
»Das Haus«, sagte sie leise. »Es war ein gutes Haus. Es war für Liebespaare gedacht.«
»Haben denn Liebespaare dort gewohnt?«
»Manchmal. Aber nicht oft genug. Wenn ein Haus für ein Liebespaar gebaut ist, sollten auch Liebespaare darin wohnen. Man darf ein Haus nicht missbrauchen. Häuser mögen das nicht.«
»Wissen Sie etwas über die Leute, die es in der letzten Zeit bewohnt haben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, ich weiß überhaupt nichts über das Haus. Wissen Sie, für mich war es nie von Bedeutung.«
»Aber Sie denken an etwas oder an jemanden?«
»Ja«, sagte die Frau. »Sie haben Recht. Ich habe an jemanden gedacht.«
»Und Sie können mir nichts über diesen Menschen sagen?«
»Es gibt nichts zu sagen. Manchmal ist es nur so, dass man
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