Lautlose Jagd
nur selten mit Regierungschefs und rief niemals selbst an. Auch Martindale zog persönliche Gespräche vor, aber dies war eine Krise, und die kulturell bedingte Abneigung Jiangs gegen Telefongespräche war ärgerlich. »Bob, was machen die Chinesen?«
»Sir, ich weiß, dass das unglaublich klingt - aber sie tun anscheinend nichts«, antwortete Plank. »Mir liegen nur alle täglichen Stärkemeldungen vor, aus denen keine unangekündigten Verlegungen von Heeres- oder Luftwaffeneinheiten hervorgehen.«
»Aber was können sie gegen uns aufbieten? Mit welcher Art Gegenschlag müssen wir schlimmstenfalls rechnen?«
»Sir, im chinesisch-nordkoreanischen Grenzgebiet stehen eine Viertelmillion Soldaten«, antwortete der CIA-Direktor, »und diese Truppen könnten leicht nach Südkorea vorstoßen und Seoul binnen weniger Tage einnehmen - wir könnten sie nicht aufhalten, wenn wir keine Atomwaffen einsetzen wollten. Wir sind dabei, einen detaillierten Statusbericht zu erstellen, aber das dauert noch ein paar Stunden. Wir kennen ungefähr ein Dutzend Raketenstellungen, die Südkorea jederzeit angreifen könnten. Deshalb müssen wir jeden Augenblick auf einen Vergeltungsschlag gefasst sein.«
»Setzen wir unsere Flugzeuge ein oder mobilisieren Truppen, erwecken wir den Anschein, uns dort einzumischen«, sagte Freeman. »Und tun wir's nicht, gibt's ein Gemetzel, wenn China oder Nordkorea angreifen.«
Der Präsident nickte. »Wenn sich nicht alle beherrschen und die Finger vom roten Knopf lassen, sind wir so oder so erledigt«, stellte er fest. »Ich kann nur hoffen, dass Jiang vernünftig bleibt.«
Er überlegte kurz, dann entschied er: »Befehl an unsere Streitkräfte: Abwehrbereitschaft herstellen. Wir sehen zu und warten ab. Wir lassen keine Flugzeuge starten - keine Aufklärer, keine Transporter und vor allem keine Jäger oder Jagdbomber.«
»Mr. President«, sagte Freeman nachdrücklich, »ich rate Ihnen dringend, an Bord Ihrer fliegenden Kommandozentrale zu gehen.
Das ist jetzt Ihr sicherster Aufenthaltsort, und Sie stehen weiterhin mit unseren Streitkräften in aller Welt in Verbindung.«
»Erfahren die Russen oder Chinesen, dass ich Washington verlassen habe?«
»Ja... vermutlich nach einiger Zeit«, antwortete Freeman, nachdem er zu Plank hinübergesehen hatte, der ihm zunickte.
»Aber das spielt keine Rolle. Sie sollten...«
»Dann bleibe ich«, entschied der Präsident. »So lange wi r nicht tatsächlich ICBMs über den Horizont kommen sehen, ist mein Platz hier. Das gilt auch für die gesamte Washingtoner Führungsspitze.«
»Sir, Sie wissen, dass unsere politischen und staatlichen Einrichtungen im Fall eines russischen Angriffs erheblich dezimiert, vielleicht sogar ganz vernichtet würden«, wandte Jerrod Hale ein.
»Der Kongress befindet sich mitten in einer Sitzungsperiode, die Führungsspitzen beider Parteien sind hier in Washington...«
»Ich glaube, dass es den Leuten scheißegal ist, ob unsere politischen und staatlichen Einrichtungen draufgehen, Jerrod«, sagte der Präsident trocken. »Ich glaube, sie würden das als betrübliche, aber willkommene Erleichterung sehen.« Sein Tonfall wurde wieder ernst. »Aber weil wir gerade beim Thema sind: Sie sollten meinen Adjutanten in Marsch setzen, damit er die Spitzen beider Kongressparteien über die bisherigen Ereignisse informiert. Ich überlasse es ihnen, ob sie sich vertagen wollen - aber sie sollen wissen, dass ich in Washington bleibe.«
»Aber, Sir«, protestierte Hale, um seinen Boss vielleicht doch noch davon zu überzeugen, dass er in Washington nicht sicher war, »die National Airborne Operations Centers mit ihren weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten sind genau für solche unklaren Krisensituationen gedacht und eingerichtet. Es ist kein Zeichen von Panik, Verzweiflung, Aggression oder Feigheit, eines dieser Flugzeuge zu benutzen.«
»Für mich schon, Jerrod«, antwortete der Präsident. »Außerdem denke ich nicht daran, mich an Bord eines Flugzeugs zu flüchten, während die Vizepräsidentin mitten in einem atomaren Feuersturm festsitzt.« Er wechselte resolut das Thema. »Da das Außenministerium offenbar nicht durchkommt, möchte ich, dass Sie versuchen, Präsident Jiang ans Telefon zu holen - und sorgen Sie dafür, dass die Spitzen beider Parteien ausführlich informiert werden.«
Während sein Stabschef zu telefonieren begann, ruhte Martindales Blick auf der langen Reihe von Computer- und Fernsehmonitoren, ohne sie jedoch wirklich
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