Lautlose Jagd
fragte Verteidigungsminister Chastain. »Allein in der Provinz Chagang Do stehen bereits über fünfunddreißigtausend Mann, die mit jeder Stunde über den Jalu hinweg weiter verstärkt werden. Das sieht nach einer Invasionsstreitmacht aus, Herr Botschafter, und ruft Erinnerungen an 1950 wach. Nach Ihren Angriffen auf die Philippinen und Taiwan, Sir, fürchtet die Welt natürlich, China könnte die gesamte Halbinsel erobern wollen. Ist diese Angst berechtigt?«
»In Korea stehen nur Sicherungstruppen, nicht mehr«, be-
hauptete Botschafter Zhou. »Ehrlich gesagt, Sir, fürchten wir die Koreaner. Wir fürchten Präsident Kwon. Wir trauen ihm durchaus zu, in Nordostasien einen Atomkrieg zu entfesseln.«
»Unsinn!«, wehrte Chastain ab. »Kwon hat wiederholt versichert, er wünsche Frieden. Er will nur, dass Korea sich in Ruhe und ohne Einmischung von außen entwickeln kann.«
»Und er ist bereit, dafür das Leben von Millionen Unbeteiligter zu riskieren?«, fragte Zhou. »Mr. President, was würden Sie an unserer Stelle tun? Würden Sie etwa untätig zusehen, wenn in Ihrem Hinterhof über Nacht eine unberechenbare Atommacht entstünde? Oder würden Sie um jeden Preis um Frieden kämpfen? Wir haben uns dafür entschieden, um Frieden zu kämpfen.«
»Indem Sie einen souveränen Staat überfallen?«
»In der Provinz Chagang Do war bekanntlich die nordkoreanische ABC-Waffenentwicklung konzentriert, und dort haben auch die meisten Raketenversuche stattgefunden«, sagte Botschafter Zhou. »In der Provinz stehen neun Rüstungsbetriebe, mehrere Raketentestgelände, vier Abschussrampen für Interkontinentalraketen und drei Kernreaktoren, von denen jeder waffenfähiges Plutonium erzeugen kann. Außerdem gibt es dort einen riesigen unterirdischen Komplex mit Waffenlabors, Lagerräumen, Abschussvorrichtungen und Unterkünften für Wachpersonal. Alle diese Einrichtungen sind zu wichtig, als dass wir riskieren dürften, sie einem offenkundig geistesgestörten Gegner wie Kwon Ki-chae zu überlassen.
Die sicherste Alternative war, die militärischen Einrichtungen zu besetzen, das Forschung, Entwicklung und Produktion dienende Material abzutransportieren und die Einrichtungen nach ihrer Zerstörung wieder zu räumen. Nichts anderes haben wir vor.« Zhou fixierte den Präsidenten mit aufrichtigem Blick. »Das ist die Wahrheit, Mr. President. China wünscht nur Frieden. Es stimmt, dass wir Nordkorea bei der Entwicklung seiner Massenvernichtungswaffen geholfen haben. Nordkorea brauchte Wirtschaftshilfe, und wir wollten sicherstellen, dass unser Einfluss den der Russen übertraf. Durch die Einrichtung von Waffenlabors konnten wir einfach und wirkungsvoll erreichen, dass Nordkorea in unserem Einflussbereich blieb.«
»Und was ist mit den anderen Vorstößen über die Grenze?«, fragte der Präsident. »Vier Brigaden allein in der ersten Stunde auf dem Vormarsch?«
»Ich bin Diplomat, kein Soldat«, wehrte Zhou ab. »Von militärischer Taktik verstehe ich nichts. Aber ich versichere Ihnen, dass unser einziges Ziel die Zerstörung der Produktionsstätten für ABC-Waffen in der Provinz Chagang Do ist. Vielleicht dienen die anderen Vorstöße dazu, die Koreaner aufzusplittern und zu täuschen. Greifen sie unsere Truppen in Chagang Do mit Nuklearwaffen an, könnten die anderen Verbände vielleicht ihre Aufgabe übernehmen. Wir kennen das Potential dieser geheimen Rüstungsfabriken, Sir. Behielte Korea die Möglichkeit, dort neue Waffen zu entwickeln oder das existierende Arsenal zu modernisieren, wäre diese Bedrohung für unser Land absolut unerträglich.«
»Sie meinen, das Risiko, dass die koreanische Revolution auf China übergreifen könnte, wäre unerträglich?«, fragte Martindale. Zhou schien sich unbehaglich zu winden und sah zu Boden, als fühle er sich bei einer Lüge ertappt. »Sie wissen so gut wie wir, dass Korea weder China noch sonst jemanden bedrohen kann, dass selbst Atomwaffen die von Korea ausgehende Gefahr nicht vergrößern. Aber China kann keine erfolgreiche Revolution an seinen Grenzen dulden, weil sie eine ähnliche Revolution in China auslösen könnte.«
»Darum geht es hier nicht, Sir...«
»O doch, darum geht es sehr wohl!«, stellte der Präsident fest.
»In mehreren chinesischen Provinzen gab es schon immer Autonomiebestrebungen. Geht Peking nicht gegen ein Korea vo r, das Atomwaffen besitzt, unternimmt es vielleicht auch nichts gegen die Innere Mongolei, Xinjiang oder Tibet. Vielleicht haben Sie
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