Lautloses Duell
konnte. Meistens jedenfalls.
Er lebte, um herauszufinden, wie die Dinge funktionierten, und es gab nur eine Möglichkeit, das zu erkunden: sie auseinander zu nehmen.
Bei den Gillettes war kein Haushaltsgerät vor dem Jungen und seinem Werkzeugkasten sicher.
Wenn seine Mutter von der Arbeit nach Hause kam, saß Wyatt vor der Küchenmaschine und untersuchte voller Begeisterung ihre erstaunlich vielen Einzelteile.
»Weißt du, wie viel das Ding gekostet hat?«, fragte sie ihn dann wütend.
Er wusste es nicht, und es war ihm auch egal.
Aber zehn Minuten später war das Teil wieder zusammengesetzt und funktionierte einwandfrei, nicht besser und nicht schlechter als vorher.
Damals war der Junge fünf Jahre alt gewesen.
Bald darauf hatte er sämtliche anderen mechanischen Gerätschaften im Haushalt auseinander und wieder zusammengeschraubt. Er kannte sich mit Umlenkrollen, Getrieben, Schaltungen und Motoren aus. Danach kam die Elektronik an die Reihe, und ein Jahr lang stürzte er sich auf Verstärker, Plattenspieler und Kassettenrekorder.
Schraubte sie auseinander und setzte sie wieder zusammen …
Es dauerte nicht lange, da bargen die Vakuumröhren und Schalttafeln keine Geheimnisse mehr für ihn, und seine Neugier schlich wie ein Tiger mit großem Hunger auf und ab.
Und dann entdeckte er die Computer.
Jetzt musste er an seinen Vater denken, den großen Mann mit der korrekten Haltung und dem kurz geschorenen Haar, beides ein Überbleibsel aus seinen Jahren bei der Luftwaffe. Der Mann hatte Wyatt, als er gerade mal acht Jahre alt war, in einen Radioladen mitgenommen und ihm gesagt, er dürfe sich etwas aussuchen. »Was du willst, egal, was.«
»Egal, was?«, hatte der Junge ungläubig gefragt und den Blick über die Hunderte von Gerätschaften in den Regalen wandern lassen.
Was du willst …
Seine Wahl fiel auf einen Computer.
Es war genau das Richtige für einen Jungen, der gerne Sachen auseinander nahm, denn der kleine Trash-80-Computer war ein Portal in das Blaue Nichts, ein unendlich tiefes und unendlich komplexes Universum aus immer neuen Schichten winziger Bestandteile, kleiner als Moleküle und so groß wie das expandierende Universum. Genau der Ort, an dem sich seine Neugier grenzenlos austoben kann.
Die Schule dagegen war eher darauf bedacht, dass die Schüler in erster Linie spurten und erst in zweiter Linie Neugier entwickelten, wenn überhaupt, und auf seinem Weg in die höheren Klassen ließen die schulischen Leistungen des jungen Wyatt immer mehr nach. (Selbstverständlich machte es mehr Spaß, seiner Neugier die Sporen zu geben, indem man zu Hause blieb, Programme schrieb oder hackte, als in einem stickigen Klassenzimmer zu hocken und sich über Bücher zu unterhalten, die einem sinnlos erschienen, oder eine Fremdsprache zu lernen, die man ohnehin nie brauchte.)
Bevor er völlig aus dem System fiel, half ihm ein kluger Vertrauenslehrer aus der Klemme, der sich seiner annahm, ihn genauer begutachtete und auf die Santa Clara Magnet School Number Three schickte.
Die Schule galt als »Auffangbecken für begabte, aber gestörte Schüler, mit Wohnsitz im Silicon Valley«– eine Bezeichnung, die sich natürlich nur auf eine Weise übersetzen ließ: »Hacker-Paradies«. Der typische Tag eines typischen Schülers der Magnet Three verlief in etwa so: Sport und Englisch wurde geschwänzt, Geschichte toleriert, in Mathe und Physik wurde geglänzt, und die ganze Zeit konzentrierte man sich auf das einzige Schulfach, das wirklich zählte: sich mit seinen Kumpels pausenlos über Computer unterhalten.
Jetzt, da er nicht weit von seiner Schule über den regennassen Bürgersteig trabte, stiegen so manche Erinnerungen aus seinen frühen Tagen im Blauen Nichts in ihm auf.
Gillette konnte sich noch genau daran erinnern, wie er stundenlang im Schulhof der Magnet Three gesessen und Pfeifen geübt hatte. Wenn man exakt den richtigen Ton in ein Fortress Phone pfiff, ließen sich die Verteiler dazu verleiten, den Pfeifer als anderen Verteiler zu erkennen und ihn mit dem goldenen Klingeln, das Zugriff verhieß, zu belohnen. (Jeder kannte die Geschichte von Captain Crunch, wie sich ein legendärer junger Hacker damals nannte, der eines Tages herausgefunden hatte, dass die Pfeifen, die als Gimmick in den Packungen der gleichnamigen Frühstücksflocken waren, einen Ton mit der Frequenz von exakt 2600 Megahertz von sich gaben – genau die Frequenz, mit der man sich in die Fernverbindungen der Telefongesellschaft
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