Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
änderte mindestens dreimal ihre Ansicht darüber, ob ihre Tochter ihr Haar geflochten oder gelockt tragen sollte.« Todd schnaubte. »Mir war natürlich klar, dass die Kleine vorne Locken brauchte, die ihre hohe Stirn kaschieren. Lady Brockton von dieser Tatsache zu überzeugen, erforderte diplo matisches Fingerspitzengefühl und viel Zeit. Zum Glück hatte ich heute Nachmittag keinen anderen Termin.«
»Ich weiß, dass Sie Lady Brockton sehr anstrengend finden, doch ist sie Stammkundin.«
»Ja, ja, das ist mir klar.« Todd sah Lavinia und Tobias an. »Ach, ich wollte nicht stören.«
»Charles Todd, erlauben Sie mir, Ihnen Mrs Lake und Mr March vorzustellen«, sagte Cork. »Sie sind gekommen, um ein paar Fragen zu stellen. Ich erzählte ihnen eben von der großen Zeit unseres Berufes.« Er wandte sich wieder an Lavinia und Tobias. »Wie ich eben sagen wollte, brauchte man sich damals um den exakten Farbton des falschen Haars keine Gedanken zu machen, da unter Puder und Pomade alles verschwand.«
Todd legte sein Paket auf den Ladentisch. »Und was für ein herrliches Zeug das Puder war.« Er legte die Handflächen aneinander und schloss die Augen, um sich seinen Gefühlen hinzugeben. »Die Vielzahl der Schattierungen, die man erzielen konnte, wirkte an sich schon inspirierend. Beim Mischen fühlte ich mich als wahrer Künstler.«
»Todd konnte mit Puder meisterhaft umgehen«, vertraute Cork ihnen an. »Er hatte Rezeptur en für die feinsten Abschattie rungen von Rosa, Blau, Gelb, Lavendel und hellem Violett. Und die exquisite, komplizierte Machart seiner Chignons muss man gesehen haben. In den Ballsälen waren seine Werke auf den ersten Blick zu erkennen. Seine Frisurkreationen überstrahlten jene aller anderen Londoner Friseure.«
»Ja, das waren noch Zeiten«, pflichtete Todd ihm bei.
»Ich sagte eben, dass Madame Tallien uns rettete, als sie Perücken in natürlichen Farben zur Mode erhob«, erklärte Cork. »Und jetzt leben wir ganz gut von Chignons, Rollen, Toupets und dergleichen. Aber das Perückengeschäft erreichte nie mehr die Blüte von früher.«
»Vor ein paar Jahren gab es wieder eine Zeit der Unsicherheit, als die Damen das Haar im damals modernen griechischen und römischen Stil ganz kurz trugen. Die Nachfrage nach geschickten Friseuren stieg erst wieder, als die Mode langes Haar vorschrieb«, sagte Todd mit großer Befriedigung.
»Dem Himmel sei Dank für die ständig wechselnde Mode«, setzte Cork hinzu. »Ich freue mich sagen zu können, dass Mr Todd einer der besten Friseure der Stadt ist, der sehr elegante Kundschaft hat. Seine Entwürfe sind einzigartige Originalkunstwerke. Ein geübtes Auge erkennt sie sofort, sei es auf der Straße oder im Ballsaal.«
»Tatsächlich?«, äußerte Tobias mit geringem Interesse.
»Allerdings. Viele seiner Konkurrenten versuchten, seine
Chignons nachzuahmen, keinem ist es gelungen. Einen echten Künstler kann man nicht imitieren.«
»Ein Friseur ist nur so gut wie sein Chignon, behaupte ich immer«, erklärte Todd. »Er ist die Basis, auf der die gesamte Frisur ruht, und verleiht der Kreation wahre, erlesene Eleganz. Ist der Chignon vom Entwurf her ohne Inspiration oder auf dem Kopf ungünstig platziert, kann kein Aufwand an Gekräusel oder Gelock die Frisur retten.«
Lavinia dachte an die Entwürfe, die Mrs Doves Friseur für sie und Emeline für etliche wichtige Bälle in der letzten Saison geschaffen hatte. Die Chignons waren tatsächlich wahre Kunstwerke, dachte sie, fast wie architektonische Entwürfe.
»Nicht nur die Machart des Chignons ist kritisch«, fuhr Todd fort. »Der Aufputz, mit dem man das Kunstwerk dekoriert, muss mit Blick auf die Gesamtwirkung ausgewählt und gesteckt werden. Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass viele Berufskollegen dazu neigen, es mit Perlen und Blumen, ganz zu schweigen von Federn, zu übertreiben. In solchen Dingen sollte das Motto des Friseurs Zurückhaltung lauten, wie Lafoy fordert.«
»Wer zum Teufel ist Lafoy?«, fragte Tobias, der offenbar jede Hoffnung aufgegeben hatte, wieder auf sein eigentliches Anliegen zurückzukommen.
Todd und Cork sahen ihn an, als hätten sie einen Außerirdischen vor sich.
»Lafoy ist Ihnen kein Begriff?« Charles Todd öffnete das Paket auf dem Ladentisch schwungvoll und holte ein Buch hervor. »Ich meine den Lafoy.«
»Nie von ihm gehört«, sagte Tobias.
»Lafoy ist in der Welt der Frisuren nicht nur ein Künstler, er ist auch ein großer Poet.« Todd öffnete das
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