Lebe deine eigene Melodie
stimmig ist, aber ohne Druck.«
Keine Entscheidung zu fällen kann auch heißen, sich dafür zu entscheiden, die Gegenwart als etwas zu erleben, wofür man sich entschieden hat. Als Eigenzeit, die einem selbst gehört. Als Raum nicht gegen oder für etwas. Als Zwischenraum, der einen überraschen und von Ballast befreien könnte. Insofern bedeutet »keine Entscheidung zu fällen« – sich dem Bann von fremden und eigenen Erwartungen zu entziehen, sich auf sich selbst zurückzuwenden. Nicht ständig
wählen zu müssen, sondern sich auch Schonung vom Zwang des Entscheidens zu gönnen. Vielleicht sollten wir in einer Zeit, in der es von allen Seiten tönt: »Entscheide dich!«, immer wieder den Mut haben zu fragen: Muss ich denn wirklich?
Was wäre, wenn ...?
Eines der größten Hindernisse bei Entscheidungen ist das »Wenn und Aber«. Es gibt Menschen, die regelrecht schwelgen in diesen Konditionalsätzen, die den Nachteil haben, dass man stecken bleibt, weil man hin- und herspringt. Dazu eine kleine Geschichte: Ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde von einem jungen Mann gefragt, was das Geheimnis seines Erfolges sei. »Richtige Entscheidungen«, antwortete dieser. Der junge Mann ließ nicht locker: »Aber wie trifft man richtige Entscheidungen?« – »Erfahrung«, antwortete der Geschäftsmann. »Und wie gewinnt man Erfahrung?« Da lächelte der Geschäftsmann und sagte: »Falsche Entscheidungen.«
In dieser Geschichte steckt Weisheit. Entscheiden hat mit Erfahrung zu tun, und Erfahrung gewinnt man durch Fehler und Irrtümer. Aber das ist es, was Menschen, die sich im »Wenn und Aber« verheddern, vermeiden wollen. Deswegen konstruieren sie Katastrophenerwartungen, um das endlose Hin- und Herschwanken zu rechtfertigen. »Was ist aber, wenn ...« ist eine ihrer häufigsten Wendungen. Sie sind unfähig zu merken, dass sie keinen ihrer Wege konsequent zu Ende denken. Allem, was kommt, werden sie die ewig gleichen Einwände entgegenbringen, und deshalb wird ihnen jeder neue Gedanke wie ein alter erscheinen. Eines fällt ihnen schwer: sich durch neue Gedanken berühren und verändern
zu lassen. So bekommt Neues keine Chance, als Korrektiv zu wirken. Ihre besondere Verstricktheit besteht darin, dass sie gar nicht merken, wie sie sich selbst sabotieren.
Was hilft? Man kann jemandem vorschlagen, einen Weg konsequent zu Ende zu denken. Statt also zu sagen: »Was ist aber, wenn ...«, kann man ihn anregen zu sagen: »Wenn ich dies oder jenes tue, was ist das Schlimmste, was dann passieren kann ...?« Und weiter: »Wenn das passiert, was ist das Schlimmste, was dann passieren kann ...?« Es geht darum, diese Absurdität bis ins äußerste zu treiben. Dahinter steckt die altbewährte Einsicht, dass ein Problem seine Bedrohlichkeit verliert, wenn man es »ad absurdum« führt. Man kann es mit sich selbst ausprobieren, wenn man zu den Menschen gehört, die sich mit »Wenns und Abers« zuschütten. Irgendwann wird man ungeduldig und gelangweilt aufgeben und irgendeine Entscheidung fällen, weil man es satt hat, sich mit Absurditäten abzugeben. Auf jeden Fall erreicht man ein Stadium, in dem man entschlossen ist, sich nicht mehr mit absurden Folgen zu beschäftigen, und sei es nur, dass man sich entschließt, unentschlossen zu bleiben. Irgendwann erschöpfen selbst den Unbeirrbarsten absurde Katastrophenerwartungen.
Wenn das Wörtchen »wenn« nicht wäre
»Ich würde gern verreisen, wenn ich nicht so viel zu tun hätte.« Diesen oder ähnliche Sätze kennt wohl jeder. Wie wäre es, wenn man die Situation einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und fragt: Verpasse ich wirklich so viel, wenn ich auf die Reise verzichte? Wächst mein Glück wirklich, wenn ich mich von der Arbeit trenne? Die Frage stelle ich nicht aus Gründen einer Anti-Urlaubs-Ideologie,
sondern weil man normalerweise versucht, der vor einer Entscheidung stehenden Person zu helfen, indem man den Wunsch »Verreisen« fördert. Meistens geschieht dann aber genau das, was man vermeiden wollte. Der Betroffene wird seine gesamte Energie in »Arbeiten« investieren und immer bessere Gründe finden, die gegen das Verreisen sprechen. So gerät man in eine Sackgasse. Der andere will zwar immer noch verreisen, hat aber jetzt noch bessere Gegenargumente.
Interessanter und hilfreicher ist daher genau das Gegenteil. Indem man das, was dagegen spricht – das Arbeiten – verstärkt, wird das Gewünschte paradoxerweise ermutigt. Es scheint, als würde diese
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