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Lebe deine eigene Melodie

Lebe deine eigene Melodie

Titel: Lebe deine eigene Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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vermittelbar zu sein, bis hin zur Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und fremdem Blick – schon gehörige Erosionen im Selbstwertgefühl hinterlassen haben. Diese Defizite machen viele fügsam, angepasst und bedürftig. Vor allem diejenigen, die immer noch einen Elternersatz suchen und ihre seelische Geborgenheit von einem anderen abhängig machen. Sie laufen Gefahr, in dürftigen Beziehungen zu verkümmern und selbst die trostlosesten Bedingungen zu akzeptieren, nur um nicht allein zu bleiben. Man nimmt unendlich viel an Zumutung in Kauf und verharrt in unakzeptablen Umständen, um doch wenigstens das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden oder wenigstens einen Zipfel vom Liebesparadies zu ergattern. Aber nicht nur Unselbstständige, Bedürftige, Fügsame schreckt das Alleinsein. Auch Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, wirtschaftlich unabhängig und selbstständig sind. Manche richten sich ihr Leben so ein, dass sie vor lauter Geschäftigkeit die Angst nicht mehr spüren.
    Als Jugendliche in der Einsamkeit der Pubertät haben wir uns mitunter an die sonderbarsten Menschen gehängt, einfach um nicht allein zu sein. Manche haben sich verbiegen oder missbrauchen lassen, sich als Retter für Labile, Süchtige angeboten oder tapfer zu Unterlegenen, Zu-kurz-Gekommenen gehalten. Heute wissen wir, es war sicher nicht Liebe, sondern schlicht und einfach die nackte Angst vor dem Alleinsein. Irgendwann begreift man, das Abschieben der Verantwortung für das eigene Glück an einen Partner entpuppt sich mit der Zeit als überholtes Wunschdenken.

    Zur Eigenständigkeit zu erwachen ist ein Weg, der eine gehörige Portion Mut braucht. Bedeutet er doch, den eigenen Sinnen zu trauen, sein eigenes Wissen und seine eigenen Fähigkeiten ernst zu nehmen und umzusetzen. Sich in sich selbst einzurichten, alte Befürchtungen »du wirst allein dastehen« zu überwinden, und sich von der Denkfalle »ich kann nur Geborgenheit bei einem Mann finden« zu befreien.
    Für ältere Frauen ist es eine Herausforderung, auf sich selbst gestellt zu sein, da die Wertschätzung ihrer Lebensform sehr zu wünschen übrig lässt, während ältere Männer eher das Mitgefühl und mütterliche Zuwendung auf ihrer Seite haben. Sie werden eingeladen, bekocht, bemitleidet, während man von Frauen eher erwartet, dass sie sich bescheiden abfinden mögen mit dem Platz, der ihnen zugewiesen wird.
    Mittlerweile sind wir aber so weit, dass es immer mehr selbstbewusste, gut integrierte Frauen gibt, die das Alleinleben ganz bewusst als Lebensform wählen. Die Ehe ist nicht mehr die einzige Möglichkeit des wirtschaftlichen und seelischen Überlebens von Frauen. Wir entscheiden selbst, was und wie wir durch unsere Lebensformen und Handlungen in Zukunft sein werden. Wer fest in sich ruht, kann auch in sich selbst Schutz finden und die Anstrengung eigenen Handelns wählen, statt brav mitzumachen, was einem vorgegeben wird. Sich selbst unterhalten zu können, lässt auch den Blick auf den Mann anders, gelassener werden. Natürlich braucht man Hände, Berührung und Offenheit für Begegnungen. Vielleicht kommt die Liebe in anderen Gestalten, verkleidet als Patenkind, Cousine, Nachbar oder als Enkelkind. Hauptsache, die Tür bleibt offen. Und sollte sie in Form körperlicher Liebe auftauchen, so gibt es keinen Grund, dass sie um jeden Preis im traditionellen Resultat
enden muss. Auch das kann Liebesglück sein: »Ich lebe mit einem Griechen zusammen, der bedeutend jünger ist als ich. Obwohl alles dagegen spricht, sind wir glücklich. Ich gehe abends um zehn Uhr ins Bett, er fängt dann erst an, aktiv zu werden. Ich stehe morgens kurz vor sechs Uhr auf, er schafft es selten vor elf Uhr. Er schaut weder meine Bilder an, die ich male, noch interessiert ihn, was ich schreibe. Dafür fährt er mich überall hin, kauft ein und kocht für mich, und massiert mir den Rücken. Das ist genau das, was ich brauche.«
    Das Wichtigste ist wohl, dass wir unsere eigene Heiterkeit, Neugier und Courage kultivieren. Es zieht Kreise, wenn sie nicht verloren gehen, weil sie ansteckend wirken.
    Es gibt unzählige Alleinlebende in unserem Alter, sie alle schwimmen im gleichen Strom. Sie helfen bei Umzügen, stützen ihre Eltern, gehen zusammen schwimmen, beherbergen Freunde und Enkelkinder, bereiten herrliche Brunchs. Ihre Türen sind offen, ihre Kühlschränke bergen genug für Spontaneinladungen, ihre Fahrräder und Wanderschuhe sind einsatzbereit, weil ihre Herzen, Hände und

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