Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Überzeugungen. Na, wenigstens wird es schnell vorbei sein und die ganze Schwerarbeit erledigt ja Lizzy.
Die Mädels beenden ihren Auftritt, verbeugen sich meiner Meinung nach ein paarmal zu oft und setzen sich wieder. Als Nächstes ist ein Geige spielender Junge dran, gefolgt von zwei Geschwistern (Junge und Mädchen), die im Duett singen. Der geigende Junge war ziemlich peinlich, aber die Sänger sind nicht schlecht. Ich stoße Lizzy mit dem Ellbogen an. »Wir sind die Nächsten!«
Sie nickt und ihre Wangen sind etwas blass.
»Und nun darf ich Ihnen Lizzy Muldoun vorstellen, die beste Hula-Hoop-Tänzerin der östlichen Staaten. Ihr Freund Jeremy Fink wird sie unterstützen.«
Das Publikum applaudiert höflich, als wir zur Bühne hochklettern. Ich habe Lizzys sämtliche Requisiten in meiner Sporttasche und stelle sie beiseite. Dann schaue ich zur Mitte der Bühne hinüber, dorthin, wo Lizzy stehen soll. Nur dass sie nicht dort ist. Ich drehe mich auf dem Absatz um und entdecke sie hinter mir, halb in den Kulissen. Sie winkt mich zu sich. Ich halte für die Preisrichter einen Finger hoch, der »noch eine Sekunde« signalisiert, und renne zu Lizzy. »Was machst du da?«, zische ich. »Wir sind dran!«
Lizzy schüttelt blitzschnell den Kopf. »Kann nicht«, sagt sie und hält sich den Bauch. »Krämpfe.«
»Das glaube ich jetzt einfach nicht!«, sage ich. »Wie lang dauert diese Sache denn eigentlich noch ?«
»Tut mir leid«, sagt sie. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Das Publikum wird langsam unruhig. Ich höre die Leute murmeln und beuge mich dichter zu Lizzy. »Aber du hast so hart trainiert. Kannst du’s nicht einfach durchziehen?«
Wieder schüttelt sie den Kopf. »Du könntest doch für mich einspringen! Ich kann nicht tanzen, aber ich könnte dir wenigstens die Requisiten zuwerfen.«
»Was? Kommt überhaupt nicht infrage!«
Der Broadway-Preisrichter kommt auf die Bühne. »Gibt es ein Problem?«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Lizzy reißt sich den Grasrock herunter und stopft ihn mir in die Hand. »Jeremy tritt für mich auf. Ich assistiere ihm.«
Der Preisrichter zieht eine Augenbraue in die Höhe, dann
sagt er: »Gut, aber wir müssen jetzt anfangen. Noch zehn Sekunden.«
»Bitte, tu’s für mich, Jeremy«, bettelt Lizzy. »Ich werde das irgendwie wieder gutmachen. Du kennst meine komplette Nummer. Und ich bin die ganze Zeit bei dir.«
»Fünf Sekunden«, ruft der Preisrichter.
Das ist ein erstklassiges Beispiel, warum ich Überraschungen hasse. Mit wildem Blick halte ich im Publikum Ausschau nach Mom und Grandma. Sie stehen mit kummervoller Miene vor ihren Sitzen. Ich deute auf Lizzys Bauch. Grandma schaut verwirrt, aber Mom flüstert ihr etwas zu. Dann fängt Grandma an zu skandieren: »Jer-e-my! Jer-e-my!« Zu meinem Entsetzen fallen andere im Publikum ein. Wohl hundert Leute trampeln mit den Füßen und schreien meinen Namen. Es ist eine Szene wie aus einem schlechten Teenie-Film, in dem der liebenswerte Loser am Ende einen Touchdown schafft oder dem beliebtesten Mädchen der Schule näherkommt.
Unsere Musik setzt über die Lautsprecher ein. Go right round baby right round like a record baby right round, round, round – einer muss das vorführen und anscheinend bin dieser Eine ich. Ich ziehe den Rock über meine Shorts hoch. Er reicht mir kaum bis über die Knie. Ich reiße Lizzy den Hula-Hoop-Reifen aus der Hand und bewege mich zur Mitte der Bühne. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass eine Person auf der Bühne wegen der Scheinwerfer, die sie blenden, die Menschenmenge nicht sehen kann. Das gilt wohl nicht am helllichten Tag in einem Zelt, denn ich kann all die erwartungsvollen Mienen klar und deutlich erkennen. Zu meiner Überraschung klatschen die Leute, noch bevor ich meine Hüften in Bewegung setze.
Ich hole tief Luft, lege mir den Hula-Hoop-Reifen um die
Taille und versetze ihn in einen gleichmäßigen Rhythmus. Lizzy gebe ich mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass jetzt der Moment ist, um mir den Fußball zuzuwerfen. Ich fange ihn mühelos auf und werfe ihn zurück. Mir ist nur zur Hälfte bewusst, dass ich diese Dinge tatsächlich tue, der größte Teil meines Hirn ist nämlich damit beschäftigt, sich zu überlegen, was Lizzy anstellen muss, um das alles ansatzweise wieder gutzumachen. Ich tue so, als wäre ich allein im Wohnzimmer des Gästehauses, anstatt mit einem Hula-Hoop-Reifen und im Grasröckchen vor hundert fremden Leuten zu tanzen. Sonst, das
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