Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
den Knochenaufbau fördernde Mittel erhielten, sank die Rückfallrate des Krebses um 36 Prozent. Das Erstaunliche dabei ist, dass das Mittel überhaupt nicht gegen den Krebs wirkt. Dieses Beispiel zeigt vielmehr, dass die Saat (in diesem Fall die Brustkrebszellen) nicht so gut aufgeht, wenn man den Nährboden (Brustkrebs bildet besonders gerne Metastasen in Knochen) verändert. Das Medikament veränderte das Körpersystem der Patientinnen und erzielte so eine starke Wirkung auf den Krebs. Fünf Jahre nach der Diagnose waren 98 Prozent der Betroffenen, die Zoledronsäure erhalten hatten, noch am Leben – und genauso bemerkenswert ist, dass das ohne Chemotherapie erreicht wurde. Wie genau war es möglich? Wir wissen es noch nicht, was die Notwendigkeit unterstreicht, weiter Daten über das komplexe System des menschlichen Körpers zu sammeln. Weitere Untersuchungen zeigten kurz darauf, dass die Einnahme von Biphosphonaten gegen Osteoporose über mindestens ein Jahr nicht nur zu einem reduzierten Brustkrebsrisiko führt, sondern auch das Risiko für Kolorektalkrebs, also Dickdarm- und Mastdarmkrebs, senkt. Vom physiologischen Standpunkt aus ereignen sich hier mehrere Vorgänge gleichzeitig, weil ein einziges Medikament mehrere Wirkungen hat. Die Forscher haben postuliert, dass die Biphosphonate die Fähigkeit der Krebszellen reduzieren, zu wandern und sich aneinander (und am Knochen) anzulagern; dass Biphosphonate die krebsbekämpfenden T-Zellen stimulieren; dass Biphosphonate die Bildung von Blutgefäßen verhindern, von denen die Krebszellen versorgt werden; und dass Biphosphonate die Effektivität anderer Krebsmedikamente steigern und gleichzeitig den programmierten Zelltod auslösen, der die Körperzellen im Gleichgewicht hält. Mit mehr Daten können wir auch mehr Hypothesen aufstellen, die in Experimenten wie den eben geschilderten überprüft werden.
Ähnlich wie die Statine mit ihren unterschiedlichen, das ganze System betreffenden Wirkungen auf den Körper bieten auch die Biphosphonate zahlreiche potenzielle Nutzanwendungen über die Bewahrung und den Aufbau von Knochensubstanz hinaus, unter anderem in der Krebstherapie. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass Patienten, die Biphosphonate einnehmen, durchschnittlich fünf Jahre länger leben. Als eine Gruppe klinischer Forscher aus Australien im Zuge der weltweit größtangelegten Langzeitstudie über osteoporotische Frakturen bei Männern und Frauen erstmals zu diesem Ergebnis kamen, dachten sie zunächst, es handele sich um einen Datenfehler oder einen übersehenen Faktor. Es hätte zum Beispiel sein können, dass die Studienteilnehmer Menschen waren, die eigens einen Arzt aufgesucht hatten, um etwas gegen ihre Osteoporose zu unternehmen, was sie vermutlich für bessere Gesundheit und längeres Leben disponieren würde. Aber der Vergleich der Ergebnisse mit denen ähnlich gesundheitsbewusster Patienten, die Vitamin D oder Kalzium einnahmen, oder mit Frauen, die eine Hormontherapie durchführten, bestätigte, dass sie nicht durch diesen Faktor verfälscht wurden. Das Medikament veränderte das System der Menschen auf mehr als eine Art und Weise und neigte die Waagschale zugunsten der Gesundheit.
Die Forscher versuchten daraufhin, unkonventionell zu denken, und spekulierten, einer der Gründe könnte sein, dass sich in der Knochensubstanz Schwermetalle wie Blei und Kadmium einlagern. Mit dem Schwund der Knochensubstanz im Alter werden diese Metalle wieder in den Körper abgegeben, was sich auf die Gesundheit negativ auswirkt. Durch die Verhinderung von Knochenschwund beugen die Biphosphonate möglicherweise der Freisetzung von Schwermetallen aus dem Knochen vor. Ob das stimmt, werden zukünftige Forschungen zeigen, aber die für mich wichtige Tatsache ist bereits bewiesen: Ein einzelnes Medikament kann mehrere kombinierte Wirkungen haben, ob nun zum Guten oder zum Schlechten. Es kann die Umwelt verändern, aus der heraus Gesundheit oder Krankheit zu verstehen sind. Wie bei jedem Medikament sollte die Entscheidung über eine Einnahme von Biphosphonaten von jedem Patienten mit dem Arzt individuell abgesprochen werden. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich die zusätzlichen fünf Lebensjahre gerne nehmen, vorausgesetzt, das Medikament verträgt sich mit meiner Gesundheitsmetrik.
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