Leben um zu lieben (Junge Liebe) (German Edition)
schnell hinterher, um ihn an der Schulter zu packen und zum Stehen zu animieren. Auch mein Gesicht hatte nun wütende Züge angenommen. Es war dunkel geworden, weshalb ich das Ausmaß Kevins Wunden im Licht der Straßenlaternen nur schlecht erkennen konnte. Ich griff nach meiner Tafel und schrieb hastig: ‚Komm mit rein, deine Wunden müssen versorgt werden!’
Kevin schien innerlich mit sich zu ringen, bevor er sich an mir vorbeidrängte und sich auf den Weg in meine Wohnung machte. Er stampfte die Treppen hinauf und blieb weiterhin wortlos vor meiner Tür stehen.
Während ich aufschloss, verdrehte ich die Augen und war mir sicher, dass in wenigen Minuten eine Moralpredigt beginnen würde. Ich schaltete das Licht an und hörte, wie Kevin die Tür hinter sich zuknallte und sich mit einem schmerzvollen Ächzen auf der Couch niederließ. Ich wollte die Zeit noch etwas strecken und holte deshalb zunächst etwas Wasser, Taschentücher und ließ mich vorsichtig neben ihm nieder. Kevin mied meinen Blick, während ich eines der Tücher anfeuchtete und behutsam das Blut aus seinem Gesicht tupfte. Sein Gesicht verzog sich bei jeder Berührung und ich fühlte mit ihm. Als ich fertig war, legte ich die Sachen beiseite und holte meine Tafel hervor.
‚Vielleicht solltest du zum Arzt gehen.’
Kevin las meine Worte, um mich gleich darauf verärgert anzusehen: „So schlimm ist es auch nicht.“
Ich zuckte mit den Schultern und wischte die Kreise von der grünen Schreibfläche, bis Kevin mir die Tafel plötzlich aus der Hand schlug. Erschrocken über sein Handeln stand ich von der Couch auf und sammelte die geworfenen Gegenstände wieder ein.
„Du kannst einen echt wahnsinnig machen!“, schrie Kevin und richtete sich ebenfalls auf. „Ich hätte dir sofort geholfen. Und was machst du? Du stehst einfach nur dumm da und guckst zu, während der Kerl auf mich einprügelt. Stell dir vor, es wäre keine Polizei gekommen!“ Er stellte sich mit dem Rücken vors Fenster und starrte mich wütend an.
Erst in jenem Moment verstand ich, wo Kevins Problem lag. Ich selbst war nach wie vor der Meinung, dass ich der Situation von Anfang an aus dem Weg gegangen wäre. Trotzdem konnte ich nachvollziehen, dass Kevin sich im Stich gelassen fühlte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, weshalb ich damit begann, meine Wohnung etwas aus dem soeben entstandenen Chaos zu befreien.
„Jedenfalls in dem Moment hättest du dein beschissenes Schweigegelübde brechen können!“
Seine Worte trafen mich. Ich spürte, wie ich leicht zu zittern begann, während ich das durchs Blut rötlich gewordene Wasser den Abfluss hinunterspülte.
„Kannst du den Scheiß nicht einfach mal liegen lassen?“, brüllte Kevin, trat plötzlich auf mich zu und schubste mich mit sanfter Gewalt gegen die Wand.
Irritiert blinzelte ich ihm entgegen und merkte, dass sich etwas wie Angst in mir ausbreitete. Vielleicht kannte ich Kevin noch nicht lange genug, um ihn richtig einschätzen zu können. Solch einen Wutausbruch hätte ich ihm schließlich auch nicht zugetraut. Kevin stand schnaubend vor mir. Seine dunklen Haare wirkten durch das gelbe Licht der Lampe fast golden. Die braun-grünen Augen funkelten mir entgegen. Zum ersten Mal konnte ich vereinzelte Sommersprossen auf seiner Nase erkennen, die sich gleichzeitig leicht über seine Wangen zogen. Ich spürte die kalte Wand an meinem Rücken und wagte es nicht, mich zu bewegen.
Ich schluckte und wollte mich gerade aus der unangenehmen Gegenüberstellung befreien, als Kevin meine Handgelenke abrupt packte und sie neben meinem Kopf gegen die Wand presste. Ich wusste nicht wie mir geschah, als er den Abstand zwischen unseren Körpern schloss und seine Lippen unerwartet auf die meinen drückte. Der Kuss fühlte sich warm und zugleich fremd an. Ich konnte Kevins schnellen Herzschlag an meiner Brust fühlen. Den Schmerz durch das feste Drücken meiner Handgelenke nahm ich kaum wahr. Erst nach einigen Sekunden schloss ich meine Augen und erwiderte den Kuss, ohne weiter darüber nachzudenken. Zwischen den vereinzelten Küssen konnte ich seinen heißen Atem auf meinen Lippen spüren. Ich wusste, dass ich zusammenbrechen würde, falls Kevin mich loslassen sollte. Ein ungeheures Kribbeln breitete sich in mir aus und ähnelte der Wirkung von starkem Alkohol. Die einfachen Küsse wurden leidenschaftlicher. Immer wieder berührten sich unsere Zungenspitzen, so dass mir vor Aufregung ganz schwindelig wurde. Ich musste nicht viel
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