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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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worden?
    Sie kamen zum Befehlsstand des Bataillons.
    Der Befehlsstand lag in einer flachen Schlucht. Bataillonskommandeur Fatow genierte sich etwas vor Nowikow und dem Brigadekommandeur; sein Stabsunterstand schien ihm für derart hohen Besuch zu schäbig. Zu allem Unglück hatte gerade ein Rotarmist das Holz im Ofen mit Pulver entzündet, sodass es fürchterlich krachte und prasselte.
    »Wir müssen daran denken, Genossen«, sagte Nowikow, »dass dem Korps eine der entscheidenden Aufgaben an dieser Front zufällt; ich habe den schwierigsten Part Makarow anvertraut, und Makarow wird, wenn ich mich nicht irre, wiederum den schwierigsten Teil seiner Aufgabe Fatow übertragen. Worin die Aufgabe besteht, werden Sie aus dem Befehl ersehen. Wie sie zu lösen ist, müssen Sie selbst entscheiden. Ich werde Ihnen im Kampf keine Entscheidungen aufzwingen.«
    Er befragte Fatow über die Verbindung mit dem Regimentsstab und den Kompanieführern, über die Funkverbindung, über die Inspektion der Motoren und die Qualität des Treibstoffs.
    Bevor sie sich verabschiedeten, sagte Nowikow: »Sind Sie bereit, Makarow?«
    »Nein, noch nicht ganz, Genosse Oberst.«
    »Reichen Ihnen drei Tage?«
    »Ja, Genosse Oberst.«
    Im Wagen sagte Nowikow zum Fahrer: »Was meinen Sie, Charitonow, sieht so aus, als wäre bei Makarow alles in Ordnung, wie?«
    Charitonow antwortete mit einem schiefen Blick auf Nowikow: »Natürlich, alles in bester Ordnung, Genosse Oberst. Der Chef der Lebensmittelversorgung hat sich betrunken. Aus dem Bataillon sind sie gekommen und wollten Trockenverpflegung, aber er hat sich schlafen gelegt und den Schlüssel mitgenommen. Da sind sie unverrichteter Dinge wieder abgezogen.
    Der Hauptfeldwebel hat mir dann erzählt, der Kompanieführer habe Wodka für die Soldaten bekommen und sich damit einen Namenstag ausgerichtet. Den ganzen Wodka hat er ausgesoffen, Ich wollte am Ersatzreifen den Schlauch flicken, aber die haben nicht einmal Gummilösung.«
    35
    Als General Neudobnow aus dem Fenster des Stabsquartiers den »Willis« des Korpskommandeurs aus einer Staubwolke auftauchen sah, freute er sich.
    So war es auch in seiner Kindheit gewesen, wenn die Erwachsenen fortgegangen waren und er sich gefreut hatte, endlich einmal Herr im Haus zu sein; doch kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, bekam er Angst vor Einbrechern oder einer Feuersbrunst, und er war ständig zwischen Fenster und Tür hin- und hergelaufen, hatte bang gelauscht und geschnuppert, ob es nicht etwa brenzlig roch.
    Er fühlte sich hier in der Steppe völlig hilflos. Die Methoden, die er sonst bei wichtigen Angelegenheiten anwandte, fruchteten hier nicht.
    Wie, wenn plötzlich der Feind käme? Vom Stab bis zur Front waren es schließlich nur sechzig Kilometer! Dem könnte man nicht mit dem Verlust seines Postens drohen, ihm nicht Kontakte zu irgendwelchen Volksfeinden vorwerfen. Die Panzer würden rollen und rollen; wie sollte er sie aufhalten? Die Erkenntnis seiner Machtlosigkeit hatte Neudobnow wie ein Schlag getroffen. Der Zorn des Staates, vor dessen Gewalt Millionen Menschen zitterten, verfehlte hier, an der Front, wo die Deutschen vorwärts drängten, seine Wirkung als Druckmittel. Die Deutschen füllten keine Fragebögen aus, erzählten nicht auf Versammlungen ihren Lebenslauf, standen keine Ängste aus vor der Frage nach der Betätigung ihrer Eltern vor dem Jahr 1917.
    Alles, was er liebte, was für ihn lebenswichtig war, sein Schicksal und das seiner Kinder, stand hier nicht mehr unter dem Schutz des großen, furchtgebietenden, geliebten Staates. Zum ersten Mal hatte er in seiner Verzagtheit wohlwollend, ja geradezu freundschaftlich an den Obersten gedacht.
    Schon beim Betreten der Hütte sagte Nowikow: »Mir ist jetzt alles klar, Genosse General: Makarow! Das ist unser Mann. Er wird in jeder Lage selbstständig die richtige Entscheidung treffen. Below dagegen wird, ohne zu überlegen, vorwärts stürmen, etwas anderes kann der nicht. Und Karpow werden wir antreiben müssen; der ist schwerfällig und unentschlossen.«
    »Ja, ja, die Kader, sie entscheiden alles: Unermüdlich die Kader studieren, lehrt uns Genosse Stalin«, sagte Neudobnow und fügte lebhaft hinzu: »Ich bin sicher, es ist ein deutscher Agent im Dorf; der hat heute früh den Luftangriff auf unseren Stab gesteuert, der Hund.«
    Er erstattete Nowikow Bericht von den Ereignissen im Stab während seiner Abwesenheit. Unter anderem sagte er: »Unsere Nachbarn und die Kommandeure

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