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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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aufgedeckt und herauskristallisiert wurden, zum Beispiel die Theorie des elektromagnetischen Feldes, die in Rundfunk, Fernsehen und Radartechnik angewandt und entwickelt wurde. Zu solchen Entdeckungen gehört auch die Freisetzung der Kernenergie. Der Erfinder des ersten Urankessels, Fermi, darf nicht beanspruchen, ein Menschheitsgenie genannt zu werden, obwohl seine Erfindung den Beginn einer neuen Epoche in der Weltgeschichte eingeleitet hat.
    Zu den Entdeckungen des noch niedrigeren dritten Ranges zählen solche, bei denen der Mensch im Rahmen des in seinem Umfeld schon Vorhandenen neue Bedingungen schafft, sagen wir, durch die Auswechslung eines Flugzeugantriebs oder durch das Ersetzen einer Dampfmaschine auf einem Schiff durch einen Elektromotor.
    In diese Kategorie nun gehört auch die Tätigkeit des Menschen auf dem Gebiet der Kriegskunst, wo die neuen technischen Bedingungen mit den alten Prinzipien zusammenwirken. Es wäre töricht, den Einfluss auf den Kriegsverlauf zu bestreiten, den ein General mit seiner Führung einer Schlacht nimmt. Es wäre jedoch falsch, diesen General zu einem Genie zu erklären. Wenn es sich um einen fähigen Produktionsingenieur handelte, wäre die Bezeichnung Genie dumm, wenn es sich um einen General handelte, wäre sie nicht nur dumm, sondern auch gefährlich.
    8
    Zwei Hämmer, jeder Millionen Tonnen Metall und lebendiges menschliches Blut schwer, warteten auf das Zeichen zum Losschlagen – einer im Süden, einer im Norden.
    Als Erste gingen die nordwestlich vor Stalingrad aufgestellten Streitkräfte zur Offensive über. Am 19. November 1942, um 7.30 Uhr morgens, setzte an den Linien der Südwest- und Don-Front heftiges Artilleriefeuer ein, das achtzig Minuten dauerte. Die Feuerwalze überrollte die Kampfstellungen, die von den Regimentern der 3. rumänischen Armee gehalten wurden.
    Um 8.50 Uhr gingen die Infanterie und die Panzerverbände zum Angriff über. Die Moral der sowjetischen Streitkräfte war ungewöhnlich gut. Die 76. Division griff zu den Klängen eines Marsches an, der von ihrer Blasmusikkapelle gespielt wurde.
    In der zweiten Tageshälfte war die taktische Tiefe der gegnerischen Verteidigung durchbrochen. Es entstand ein riesiges Schlachtfeld.
    Das vierte rumänische Armeekorps wurde vernichtet.
    Die erste rumänische Kavalleriedivision wurde von den anderen Teilen der 3. Armee im Bereich des Ortes Kraini abgeschnitten und isoliert.
    Die 5. Panzerarmee begann mit dem Angriff von den Höhen dreißig Kilometer südwestlich der Stadt Serafimowitsch, durchbrach die Positionen des zweiten rumänischen Armeekorps und bewegte sich schnell in Richtung Süden; schon zur Mittagszeit beherrschte sie die Höhen nördlich der Station Perelasowskaja. Sich nach Südosten wendend, erreichten die sowjetischen Panzer- und Kavallerieeinheiten am Abend die Ortschaften Gussinka und Kalmykow und waren damit sechzig Kilometer tief im Hinterland der 3. rumänischen Armee.
    Nach vierundzwanzig Stunden, bei Sonnenaufgang des 20. November, gingen auch die in den Kalmücken-Steppen südlich von Stalingrad konzentrierten Streitkräfte zur Offensive über.
    9
    Nowikow war schon lange vor Sonnenaufgang aufgewacht. Seine Aufregung war so groß, dass er sie nicht einmal spürte.
    »Möchten Sie Tee, Genosse Korpskommandeur?«, fragte Werschkow feierlich und einschmeichelnd.
    »Ja«, sagte Nowikow, »und sag dem Koch, er soll ein paar Eier machen.«
    »Wie denn, Genosse Oberst?«
    Nowikow schwieg, dachte nach, und Werschkow glaubte, der Korpskommandeur sei so in Gedanken versunken, dass er seine Frage nicht gehört hatte.
    »Spiegeleier«, sagte Nowikow und schaute auf die Uhr. »Geh zu Getmanow, sieh mal nach, ob er schon auf ist. In einer halben Stunde müssen wir fahren.«
    Er dachte anscheinend gar nicht daran, dass in anderthalb Stunden das Artilleriefeuer beginnen und Hunderte von Jagd- und Bombenflugzeugen den Himmel erdröhnen lassen würden, dass die Pioniere nach vorn kriechen würden, um die Drahtverhaue zu durchschneiden und die Minenfelder zu entschärfen, dass die Infanterie, Maschinengewehre schleppend, auf die vom Nebel verhüllten Hügel zustürmen würde – die Hügel, die er so oft durch den Feldstecher beobachtet hatte. Er fühlte sich jetzt anscheinend nicht mit Below, Makarow und Karpow verbunden. Er dachte jetzt anscheinend gar nicht daran, dass am Vortag sowjetische Panzer in die von Artillerie und Infanterie durchbrochene deutsche Front nordwestlich von Stalingrad

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