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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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»Genosse Oberst, das ist er, Oberleutnant Lehnard, den wir Ihnen bringen sollten.«
    »Wer?«, wunderte sich Filimonow. Und da das Gesicht des deutschen Offiziers ihm sympathisch erschien und er verstört war, weil er sich zum ersten Mal in seinem Leben an einem Mord beteiligt hatte, sagte er: »Führen Sie ihn zur Sammelstelle, aber keine Dummheiten. Sie persönlich sind für sein Leben verantwortlich.«
    Der Tag des Gerichts neigte sich dem Ende zu, und das Lächeln auf dem Gesicht des erschossenen Soldaten war schon nicht mehr zu erkennen.
    48
    Oberstleutnant Michailow, Chefdolmetscher der 7. Abteilung in der Politleitung des Frontstabes, begleitete den gefangenen Generalfeldmarschall zum Stab der 64. Armee.
    Paulus war aus dem Keller gekommen, ohne die sowjetischen Offiziere und Soldaten zu beachten. Sie starrten ihn neugierig an, begutachteten seinen mit einem grünen Lederstreifen von der Schulter bis zur Taille besetzten Feldmarschallmantel und seine Kaninchenfellmütze. Er machte große Schritte; den Kopf hochgereckt, blickte er über die Ruinen von Stalingrad hinweg und ging zu dem wartenden Geländefahrzeug des Stabes.
    Michailow, der vor dem Krieg häufig auch bei diplomatischen Empfängen gedolmetscht hatte, gab sich Paulus gegenüber selbstbewusst und differenzierte mühelos zwischen kühler Höflichkeit und unnötiger Hast.
    Er saß neben Paulus und beobachtete dessen Gesichtsausdruck. Michailow wartete darauf, dass der Generalfeldmarschall das Schweigen brechen würde. Sein Verhalten war anders als das der Generäle, an deren Vorvernehmungen Michailow teilgenommen hatte.
    Der Stabschef der 6. Armee hatte mit träger, langsamer Stimme gesagt, dass die Katastrophe von den Rumänen und Italienern verursacht worden sei. Der hakennasige Generalleutnant Sixt von Arnim hatte mürrisch mit seinen Orden geklimpert und hinzugefügt: »Nicht nur von Garibaldi mit seiner 8. Armee, sondern auch von der russischen Kälte und dem Mangel an Verpflegung und Munition.«
    Der grauhaarige Schlemmer, Kommandeur eines Panzerkorps, ausgezeichnet mit dem Ritterkreuz und dem Goldenen Verwundetenabzeichen, hatte das Gespräch unterbrochen und darum gebeten, seinen Koffer behalten zu dürfen. Und dann hatten alle zu reden begonnen – der Leiter des Sanitätsdienstes, der sanft lächelnde General Rinaldo und der finstere Oberst Ludwig, Kommandeur einer Panzerdivision, dessen Gesicht von einem Schmiss entstellt war. Besonders aufgeregt zeigte sich der Adjutant von Paulus, Oberst Adams, der sein Necessaire verloren hatte – er breitete die Arme aus, schüttelte den Kopf, und die Ohrenklappen seiner Leopardenfellmütze flogen wie die eines Rassehundes, der aus dem Wasser kommt.
    Sie wurden zu Menschen – aber auf ungute Weise.
    Der Fahrer, der eine elegante weiße Pelzjacke trug, antwortete auf Michailows Anweisung, langsamer zu fahren, ganz leise: »Jawohl, Genosse Oberstleutnant!«
    Er wollte seinen Fahrerkollegen von Paulus erzählen, wollte, wenn er aus dem Krieg heimgekehrt wäre, prahlen können: »Damals, als ich Feldmarschall Paulus fuhr …« Außerdem wollte er den Wagen besonders geschickt lenken, damit Paulus dachte: »Das ist also ein sowjetischer Fahrer – erstklassig.«
    Dem frontgewohnten Auge erschien diese dichte Vermengung von Russen und Deutschen unvorstellbar. Einheiten fröhlicher MP-Schützen durchforschten die Keller, krochen in die Wasserleitungsschächte und trieben die Deutschen an die frostige Oberfläche.
    Auf den Straßen und Brachflächen stellten die russischen Schützen das deutsche Heer mit Hilfe von Stößen und Schreien neu auf, vereinten Soldaten verschiedener Waffengattungen zu Marschkolonnen.
    Die Deutschen blickten verstohlen auf die Hände mit den Waffen und versuchten, beim Gehen nicht zu stolpern. Ihre Gefügigkeit beruhte nicht nur auf der Angst, dass ein russischer Bewacher mühelos abdrücken könnte. Die Sieger strahlten Macht aus, eine fast hypnotische, schwermütige Leidenschaft zwang die Unterlegenen zum Gehorsam.
    Der Wagen mit dem Generalfeldmarschall fuhr nach Süden und begegnete den Kolonnen der deutschen Gefangenen. Aus einem mächtigen Lautsprecher dröhnten Frontlieder.
    Zwei Soldaten trugen einen dritten, er hielt sich mit blassen, schmutzigen Armen an ihren Hälsen fest; zwischen den eng zueinander geneigten Köpfen der Träger sah man ein leichenblasses Gesicht mit brennenden Augen. Vier Soldaten schleppten einen Verwundeten auf einer Decke aus einem Bunker.
    Auf dem

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