Lebensbilder II (German Edition)
zog der Vater sein geliebtes Kind beiseite.
»Augustine,« sprach er, «weil du denn doch aus den Fußstapfen deiner Eltern trittst und dich über deinen Stand vermählen willst, versprich mir eins: Tue nichts, ohne mich zu fragen, vor allen Dingen unterschreibe nichts, als was ich oder Lebas, dein Schwager, zuvor gesehen und gebilligt haben.«
»Ich verspreche es,« sagte die sanfte Augustine.
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Wenige Wochen nach diesem denkwürdigen Sonntage wurden zwei ganz verschiedene Paare in der Kirche St. Leu getraut.
Augustine und Heinrich von Sommervieux erschienen in allem Glanz des Reichtums, der Liebe, des Glückes und der Schönheit, umringt von vornehmen und reichgeschmückten Herrn und Damen. Virginie, am Arm des bescheidenen Joseph, erschien in ihrem einfachen Aufzuge nur als eine Folie ihrer schönen Schwester.
Herr Guillaume halte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, um die Trauung seiner älteren Tochter zuerst vollziehen zu lassen, aber die ganze Geistlichkeit war dawider und gab zuerst das reichste Paar zusammen.
Überdies wünschten die Nachbarn ihm viel herzlicher zur Vermählung Virginiens Glück, welche ihrem Stande, ihren Eltern und ihrem Hause sogar treu blieb. Augustine dagegen zog sich mancherlei Reden zu, die ihr neiderregendes Glück wohl mitbewirken mochte. Ein alter Kaufmann sagte: Ein ehrliebender Tuchhändler dürfe gar keinen Adligen zum Schwiegersohn annehmen; ein Detailverkäufer meinte: Der junge Verschwender würde seine Gattin bald aufs Stroh legen, aber Vater Guillaume lachte dieser Reden, denn er hatte den Ehekontrakt zum Besten seines Kindes viel zu sorgsam abfassen lassen, um dergleichen zu befürchten.
Abends wurde ein prächtiger Ball gegeben, dem eine glänzende Abendmahlzeit folgte. Herr und Madame Guillaume übernachteten in dem Hotel Rue de Colombier, als die Vermählungsfestlichkeiten stattgefunden. Herr und Madame Lebas kehrten in das alte Haus Rue St. Denis zurück, als nunmehrige Beherrscher der schwarzen Katze. Der Maler und seine schöne Augustine nahmen glückestrunken von einem herrlichen Hotel Besitz, wo allerReichtum, Eleganz und Luxus miteinander wetteiferten, ihrem Glück und ihrer Freude nachzukommen.
Fünf Jahre waren verstrichen. Augustine hatte ihr zweiundzwanzigstes Jahr erreicht und stand in der Fülle weiblicher Schönheit und Blüte, aber ihre bleichen Wangen, der schmachtende Blick ihrer Augen gehörten dem Glücke nicht an.
Binnen dieser ganzen Zeit hatte sie weder Eltern noch Schwester gesehen. Die glänzenden Feste und Gesellschaft ten, in denen sie stets ihrem Manne zu Gefallen schwärmen mußte, sagten ihrem Herzen wenig zu, und auch das Herz ihres Gatten war ihr entfremdet. Seine Liebe war mehr Künstlerrausch als wahrhafte Zuneigung und hatte sich durch die Dauer nicht bewahrt.
Wie verlangte Augustine danach, ihre Eltern und Schwester wieder zu umarmen, die ihrer Kindheit so viel Zuneigung und Anhänglichkeit erwiesen, beides mangelte ihr jetzt, und die glänzende, volkreiche Welt dünkte ihr deshalb eine Einöde.
Sie sah nach langer Zeit das stille Haus wieder, in welchem sie ihre Kindheit verlebt. Seufzend betrachtete sie das Fensterlein, vor welchem sie ihrem Heinrich erschienen war, als er noch so heiß und zärtlich sie liebte. Sie trat ein. das Innere des Hauses war ganz unverändert, der merkantilische Geist hatte sich verjüngt. Virginie hatte den Platz inne, auf welchem die Mutter sonst zu sitzen pflegte, und Joseph, die Feder hinterm Ohr, trat der betrübten jungen Frau ziemlich unachtsam entgegen. Er war so beschäftigt, daß er sie kaum ansah. Virginie empfing ihre Schwester sehr frostig.
Als Gattin des verständigen Lebas fürchtete sie, der ungewöhnliche Morgenbesuch dürfte Geldangelegenheiten betreffen, und hütete sich, ein inniges, vertrauliches Gespräch mit ihrer Schwester anzuknüpfen.
Es war Zeit zum Frühstück. Virginie führte ihre Schwester in den Saal und nötigte sie, von allen Schüsseln zu kosten, obgleich sie keinen Bissen essen mochte. Augustine nahm viele Veränderungen wahr, die Joseph Lebas Ehre machten. Alles atmete Wohlstand und Überfluß, und die Eheleute behandelten sich gegenseitig mit unvergleichlicher Achtung und Aufmerksamkeit.
Die Ankunft des alten Guillaume und seiner Gattin belebte endlich diese einförmige Szene. Er trat mit den Worten ein: »Gut, daß ich dich einmal wiedersehe, mein liebes Kind! Ich habe mir schon lange gewünscht, mit dir zu reden.«
Augustine erblaßte.
»Wir
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