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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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möge, das Bett zu erreichen, weil ich mich sehr übel befände. Dies geschah. Schweigend entfernten sich meine Begleiter, und schwere Schlösser und Riegel fielen vor die Tür. Nach Verlauf einiger Zeit hörte ich wieder die Schlösser öffnen, der Graukopf mit dem Schlüsselbunde und ein stattlicher Mann, der ihm folgte, traten zu mir.
    Wie groß war meine Freude, in letzterem den ehemaligen Hausarzt zu erkennen, der noch in den letzten Lebenstagen meinem Vater beigestanden.
    »Mein Herr,« flüsterte ich ihm leise zu, »retten Sie mich! Sie sind es imstande, und ich vertraue Ihnen mein Geheimnis!«
    »Stille! Stille!« versetzte der Arzt sehr sanft. »Ihnen tut vor allen Dingen Ruhe not.«
    »Nur zwei Augenblicke hören Sie mich ohne Zeugen.« flehte ich.
    »Haben Sie Appetit zum Essen und Trinken?« fragte er, und als ich leise zu stehen fortfuhr, mir doch nur eine Minute ohne Zeugen Gehör zu schenken, verlor er die Geduld und rief:
    »Genug der Albernheiten, ich habe keine Zeit dazu, Patienten Ihrer Art anzuhören, und es wäre schlimm, wenn ich sie alle anhören müßte.«
    Dadurch ward mir plötzlich meine Lage klar. Der Arzt, ein sehr angesehener Mann und Leibarzt einer sehr hohen Person, war nebenbei auch Mitinspektor einer Irrenanstalt.
    »Barmherziger Gott!« rief ich, »Sie nehmen mich doch nicht etwa gar für einen Wahnsinnigen? Und bin ich hier in Ihrer Irrenanstalt?«
    Die Antwort war: »Da Sie es wissen, lieber Francis, will ich Ihnen kein Geheimnis daraus machen, denn es hängt von Ihrem Benehmen ab, wie bald Sie Ihre Freiheit wieder erhalten.«
    Unbekümmert um die Gegenwart eines dritten, denn so hatte ich alle Geistesgegenwart verloren, rief ich kläglich:
    »Mein Herr, ich bin nicht wahnsinnig, obwohl ich es leicht werden könnte. Ein Bubenstück sondergleichen bringt mich hierher. So gewiß Sie den Verständigen vom Tollen unterscheiden können, hören Sie mich nur, und Sie werden den Irrtum einsehen, retten Sie mich, bei allen Heiligen! denn hier, wo Sie so menschenfreundlich Tolle bessern, muß ich toll werden.«
    Ein gebieterischer Blick des Arztes entfernte den Wärter, und ich berichtete ihm, was ich bisher erzählt habe, obschon verworrener und unzusammenhängender, wie sich von meinem damaligen Zustande leicht denken läßt.
    Der Arzt hörte mich mit großer Unruhe an. Ich hielt sie für Teilnahme. Als ich meine Erzählung geendigt, sprang er zornig auf und rief nach dem Wärter.
    »Kanaille!« donnette er ihn an, »warum habt Ihr diesen Mann hierher gebracht? Unordnung und kein Ende! Er gehört ja in die untersten Kellergewölbe, marsch fort! schafft ihn dahin!«
    Solche Teilnahme fand ich bei demjenigen, der meinem Vater die Augen zugedrückt, und dieser reiche, angesehene Mann konnte ein solcher Schurke sein.
    Ich ward indessen wieder von meinem Lager aufgerissen und in die unterirdischen Kellergewölbe geschleppt, wo ich zwar ein besseres Bette erhielt, aber auch hinter weit festeren Schlössern und Riegeln verwahrt wurde. – Als ich mich nun wieder allein befand, fing das Bewußtsein meines grenzenlosen Elends an, in mir aufzugehen. Ich bedachte, wie glücklich ich gewesen, wie meine Wünsche nichts Höheres erstreben konnten, als was ich genossen, und wie ich vor lauter Genuß und Üppigkeit stets mehr gefordert und immer mehr erhalten. Ich bedachte alsdann, wie dumm, wie blödsinnig ich war, mich von der Urheberin meines Mißgeschicks also täuschen und blenden zu lassen, zu einem solchen Spielwerk mich ihr hinzugeben und zuletzt so arglos ihr in die Falle zu gehen. Hatte ich nicht durch meine Leidenschaft und Unerfahrenheit sie gleichsam aufgefordert, mich hier, getrennt von allen Menschen, einsam, ohne Hoffnung, die freie Luft, das Sonnenlicht wieder zu genießen, in dieses Grab, wo nur Wahnsinn hauste, einzukerkern? – Wäre ich doch klüger gewesen, welch eine Rolle hätte ich in der Welt durch eine solche Beschützerin gespielt. Und wie ich voll Verzweiflung auf diese Weise mich selbst anklagte, sprang ich plötzlich mit erneuten Kräften von meinem Lager auf und rief aus: »Ich bin ja wahnsinnig, wann ist der Verstand je so dumm gewesen? Phantaste lügt mir vor, wo ich mir einbilde, mein Gedächtnis sei es, drum wollen die vernünftigen Menschen mich los sein, und jenen Arzt kenne ich als einen redlichen Mann. Oh, hört mich, meine Brüder und Mitgefangenen. Sind wir wahnsinnig, laßt uns auch rasen, daß es der Mühe sich lohnt. Wir sind glücklich, wir fühlen ja kein

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