Lebensbilder II (German Edition)
Leid. Wir sind die Könige der Welt, alle Schätze der Erde sind unser. Auf! schwärmen wir zum höchsten Genuß, laßt uns jubeln, wie der Wind heult! laßt uns toben, wie Donner rollt. Auf! wir sind die Glücklichen!« – So jauchzte ich laut und sprang in meinem Kerker wild herum, und es war mir, als ob ich tausend Stimmen aus den Wänden und der Decke meines Kerkers vernahm, von Tollen, die mitschrien, ihre Köpfe und Glieder wider die Mauer schlugen, sie riefen: »Wir hören dich und freuen uns mit dir, daß das Fleisch uns vom Leibe fällt, und jede Faser ist ein Herz, das vor Wonne schlägt. Heißa, heißa! das tolle Glück!
Von diesem Augenblicke an hatte ich kein Bewußtsein weiter, mein Gedächtnis sagt mir nichts von allem, was sich in den folgenden Stunden mit mir zutrug. Meine Erinnerung beginnt erst wieder mit einem Traum.
Ich sah meine Kerkerwände nicht mehr, sondern eine weite Ebene, wo die Sonne hinter schweren, schwarzen Wolken blutig unterging. Donner und Posaunentöne brüllten aus den Wolken, und ein häuserhoher Triumphwagen kam daher, er war aus braunen, ehernen Stäben zusammengeflochten, die ineinanderklirrten, wie er daherrollte, und der Boden dröhnte unter ihm, und der Kopf schmerzte mich, weil ich's hörte. Zwei riesige Schmetterlinge waren daran gekettet, und es war ein Wunder mit anzusehen, wie leicht sie den schweren Wagen zogen, indem sie ihre bunten, herrlich großen Schwingen weit, aber ganz langsam nur regten. Viel Männer und Weiber tanzten wild um den Wagen her, sie schwangen in der einen Hand Pechfackeln, die alles ringsumher röteten und mit dickem Qualm umgaben; in der andern hielten sie Posaunen, in welche sie alle auf einmal stießen, dann sprach es im mächtigen Trompetenton: »Das allein ist die Wahrheit!« Alle Männer und Weiber waren mit Laubkränzen geschmückt, und zwischen ihren Reihen hindurch sprangen Gerippe wie Tolle umher, sie hielten in ihren hochausgestreckten Knochenarmen große Glocken, worauf sie mit Hämmern unermüdlich losschlugen. Und die Glocken bebten und summten: »Betrogen! Betrogen! Betrogen!« – Oben auf dem Wagen aber stand meine Geliebte als Göttin der Wollust, in der einen Hand einen Becher, in der andern eine Pechfackel, die sie mit einer solchen Röte umfloß, als sei sie der untergehenden Sonne entstiegen. Sie sprach: »Hier bringe ich dir den Wollustkelch, leere ihn, so ist alles dein. Alle Freuden, alle Genüsse, die je empfunden sind, fühlst du in dir, bist du selbst.«
Ein sinnbetäubender Duft umfing mich aus dem Becher, der Trank war mir im Innersten zuwider, aber ich griff nach ihm, und mühevoll, wie jemand, der ohne Durst trinkt, leerte ich ihn bis auf den letzten Tropfen.
Da ward mir's, als müßte ich zum Nebel mich auflösen, und ich ward allgegenwärtig an allen Orten, die ich sah, immer weiter dehnte ich mich und wirbelte in immer weitere Fernen, und mit jedem weiteren Kreis, den ich zog, wuchs die fürchterliche Angst, und gleich mir hatten alle übrigen Gestalten sich in Dampf aufgelöst und waren mit mir, zu meinem Entsetzen und Widerwillen, aufs innigste verschlungen: wir waren ein Wesen. Da faßte ich den Entschluß, kühn mich dem Strudel der Angst zu überlassen und in das unendliche Entsetzen mich wild und jauchzend hineinzustürzen. Dieser Entschluß kam aber nicht aus mir, jubelnd halten ihn die andern Wesen gefaßt, ich hatte nur eingestimmt, und nicht beschreiben kann ich, wie mir ward – die Qual der Unseligkeit, eine Seelenfolter empfand ich da – lebend – im voraus.
Zum Glück rief eine klägliche Stimme, die mich durch ihren Schmerz innig erschütterte:
»O Wollust! dein Los ist Verdammnis, denn du mordest die Unschuld, die Gott selbst nicht herstellen kann. Weh euch, ihr Großen der Erde, kein irdisches Gericht wartet euer, well ihr nicht irdisch mordet. Den Erdensündern wird vergeben, doch für euch gibt's keine Erlösung. Es lebt ein Gott, der die Unschuld rächt.«
Diese Stimme hatte mich aus dem entsetzlichen Fiebertraum zum Bewußtsein aufgerüttelt. Ich fand mich wieder außerhalb des Bettes auf dem Boden meines Kerkers liegen: die Stimme kam von einer Mitgefangenen, die in einem Kerker neben dem meinigen aufbewahrt wurde. Vermutlich war es ihr gelungen, ihr Gefängnis einen Augenblick zu verlassen, ohne daß sie etwas Weiteres erreichen konnte, als solche Kunde ihres unglückseligen Daseins zu geben. Gleich darauf hörte ich sie von den Kerkerknechten ergreifen, es fielen unbarmherzige
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