Lebenslang
warten.«
Yvonne drehte sich zu ihm um. »Sie wollen mich hierbehalten?«
»Das hat Ihnen doch Dr. Bauer gesagt, oder etwa nicht?«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Das wüsste ich.«
»Na, wie dem auch sei, ich soll Sie auf die Neurologie bringen, und hier sind wir.«
»Aber wie stellen Sie sich das vor? Ich habe nichts dabei, kein Nachthemd, keine Zahnbürste, nichts!«
»Doch, hast du«, sagte eine bekannte Stimme neben ihr, die in diesem Moment eine Welle der Erleichterung in ihr aufsteigen ließ. »Ich bin in deiner Wohnung gewesen und habe alles Nötige eingepackt.«
Yvonne drehte sich um. Ihr Sohn Florian erschrak, als er seine Mutter sah, doch die Fassung verlor er nicht. Stattdessen hielt er eine Reisetasche in die Höhe. »Axel hat mir schon alles erzählt.«
Sie zog Florian zu sich heran und gab ihm einen Kuss. »Danke«, sagte sie leise.
Er holte tief Luft. »So, und jetzt will ich mal schauen, wo ich die Stationsschwester auftreibe.«
Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis die Aufnahmeformalitäten erledigt waren und Yvonne ihr Quartier in einem Vierbettzimmer für die nächsten zwei oder drei Tage beziehen konnte.
Die neurologische Station eines Krankenhauses ist alles andere als ein Hotel. Die Patienten, die hier unfreiwillig ihre Tage und Nächte verbringen, sind in der Regel ältere Damen und Herren, die einen Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben. Yvonne hatte stets versucht, alle Behandlungen ambulant hinter sich zu bringen. Zwei Tage im Krankenhaus reichten aus, und sie fühlte sich schlechter als vorher. An Durchschlafen in der Nacht war nicht zu denken. Immer wieder stöhnte ein desorientierter Patient auf, schrie oder führte wirre Selbstgespräche. Um sechs Uhr in der Früh erschienen die Schwestern, um die täglichen Dosen Heparin an den Mann respektive die Frau zu bringen.
Yvonne hasste die Thrombosestrümpfe. Sie hasste es, den ganzen Tag im Nachthemd zu verbringen. Sie hasste die Gerüche, sie hasste die Geräusche. Und sie hasste das Krankenhauspersonal, das im Laufe der Jahre immer schlechter geworden war. Sie fragte sich, woher in drei Teufels Namen all diese tätowierten und gepiercten Mädchen kamen, die keinerlei Respekt vor den Patienten hatten und in der Regel mit einem IQ weit unter achtzig gesegnet waren.
Ein Vierbettzimmer, und ihr Bett stand auch noch direkt neben der Tür! Sie hätte kotzen können.
Florian schaltete das Licht nicht ein, als er ihre Sachen in den einzigen leer stehenden Schrank einräumte. Nur die Kulturtasche, ein Handtuch, frische Unterwäsche und ein langes T-Shirt legte er seiner Mutter auf den Schoß. Yvonne warf die Sachen auf ihr Bett und zog die Bremse an, klappte die Fußstützen hoch und drückte sich aus dem Rollstuhl. Florian hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sich abwartend an die Wand gelehnt.
Yvonne war zwar ein wenig schwindelig, als sie endlich wieder auf den eigenen Füßen stand, doch sie würde den Weg zur Dusche, die sich draußen auf dem Korridor befand, alleine gehen. So viel Restwürde hatte sie noch. Sie blieb einen Moment stehen, dann ging sie zwei Schritte zum Waschbecken. Florian hob fragend die Augenbrauen, und seine Mutter nickte ihm zu. Er seufzte, klappte den Rollstuhl zusammen und stellte ihn an die Wand, damit er keinen behinderte.
»Ich dusche alleine, damit das klar ist«, sagte sie.
»Natürlich. Ganz wie du willst.«
Florian trat beiseite, damit sie an ihm vorbeigehen konnte. Yvonne wusste, dass sie ungerecht ihm gegenüber war. Florian war nun wirklich nicht der Sohn, der meinte, sie in einen fürsorglichen Belagerungszustand versetzen zu müssen. Er wusste ja nur zu gut, dass sie große Nähe nicht mehr ertrug. Es hatte lange gedauert, bis er sich damit abgefunden hatte, dass seine Mutter nach dem Koma nicht mehr die Frau war, die ihn bis dahin großgezogen hatte. Manchmal hasste sich Yvonne dafür.
Es gab Tage, an denen sie sich selber nicht besonders gut leiden konnte. Sie war reizbar und mürrisch geworden, vielleicht auch depressiv, was angesichts dessen, was ihr zugestoßen war, kein Wunder war. Die meisten Leute, die sich um sie sorgten, hatte sie auf ihre neu erworbene ruppige Art vor den Kopf gestoßen. Viele Freunde waren ihr ohnehin nicht geblieben. Und die wenigen, die ihr noch immer zur Seite standen, bewiesen bis auf den heutigen Tag eine beinahe übermenschliche Langmut.
Yvonne ging über den Flur, steuerte das Gemeinschaftsbad an, schloss die Tür
Weitere Kostenlose Bücher