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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Mutter.«
    »Du findest nicht, dass ich zu streng bin?«
    »Hör auf, dir die Schuld zu geben.«
    Sie sieht mich finster an. »Genauso gut kannst du auch sagen: Hör auf, Kopfschmerzen zu haben.«
    Ich setze mich zu ihr und ergreife ihre Hand. Sie zieht sie nicht weg, erwidert aber auch nicht den Druck. »Wenn sie tot ist, bringe ich mich um.«
    »Julia lebt!« Ärgerlich stelle ich die leere Tasse auf den Tisch. Astrid steht auf und geht nach oben. Die Tür zum Badezimmer wird geöffnet. Kurz darauf höre ich die Dusche rauschen. Ich bin müde, meine Augen brennen. Ich sehne mich danach, wenigstens für eine kurze Zeit all das hier zu vergessen. Die leeren Tassen lasse ich auf dem Tisch stehen, als ich Stufe für Stufe die Treppe hinauf in den ersten Stock steige. Das Rauschen der Dusche wird lauter. Die Badezimmertür ist nur angelehnt. Auf dem Boden liegen ein Slip und ein BH. Ich gehe in Julias Zimmer, gieße die Blumen mit der kleinen goldenen Kanne, die halb leer auf der Fensterbank steht, und lege mich bekleidet ins Bett meiner Tochter, vergrabe mein Gesicht in ihrem Kopfkissen. Dann schließe ich die Augen und versuche zu schlafen. Vergeblich. Ich erinnere mich an die Abende, an denen ich sie in den Schlaf sang, ihr Bücher vorlas oder wir gemeinsam Hörspiele hörten. Da war sie sieben oder acht Jahre alt. Ich spüre, wie sich die Zeit zurückspult, fürchte, dass ich dieses Uhrwerk der Gefühle überdrehe, eine Feder springt, ein Zahnrad sich verhakt. Der CD-Player läuft seit gestern leer im Pausenmodus. Die kleine silberne Scheibe rotiert schnell in einem sich ständig wiederholenden Rhythmus. Ich lasse sie weiterlaufen.
    Astrid kommt aus dem Bad. Ich höre ihre nackten Füße auf dem Laminat. Es riecht nach Duschgel und Shampoo. Dann wird die Schlafzimmertür geschlossen. Ich setze mich auf und wickele mich in Julias leichte Bettdecke ein. Draußen ist es mittlerweile taghell. Die ersten Autos fahren auf der Straße vorbei. Ich möchte schlafen, kann es aber nicht. Werde es nie wieder können. Nicht, solange Julia da draußen ist. Es klingelt an der Tür.
    Die Schlafzimmertür bleibt geschlossen, so stehe ich auf, gehe die Treppe hinunter und öffne. Es ist einer der Polizisten, die die ganze Nacht vor unserem Haus verbracht haben. Angst und Hoffnung keimen in diesem Moment in mir auf und lassen die Brust schmerzen, in der mein Herz schlägt. Sie haben sie gefunden! Sie haben sie gefunden, und jetzt übermitteln sie mir die Nachricht! Es tut uns leid, Herr Steilberg, aber Ihre Tochter ist tot.
    »Entschuldigung«, sagt der Polizist. »Dürfte ich einmal Ihre Toilette benutzen?«
    Langsam entweicht die Luft aus mir. Ich trete beiseite und lasse ihn herein. »Sie wissen ja, wo sie ist. Haben Sie schon gefrühstückt?« Eine törichte Frage, auf die der Polizist natürlich mit einem Kopfschütteln antwortet. »Ich mache für Sie und Ihren Kollegen einen Kaffee.«
    Während ich in der Küche eine neue Kanne Espresso aufsetze, höre ich die Toilettenspülung. Fünf Minuten später stehen die beiden Beamten im Esszimmer. Sie sehen genauso übernächtigt aus wie ich. Wir decken gemeinsam den Tisch. Für Wieland gleich mit. Ich weiß nicht, wann er aufwachen wird, aber wenn er nichts essen will, findet sich bestimmt jemand anderes. Ab jetzt wird es in diesem Haus wieder wie in einem Taubenschlag zugehen.
    Astrid bleibt im Schlafzimmer, und ich schaffe nur eine halbe Scheibe Toast mit Honig, dann wird mir schlecht. Die beiden Polizisten essen mit Appetit, schenken sich zweimal Kaffee nach und gehen dann auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Ich höre ihre gedämpften Stimmen, verstehe aber nicht, worüber sie reden. Als sie fertig sind, bedanken sie sich bei mir und beziehen wieder vor dem Haus Stellung. Ich frage mich, wo Schumacher und seine Leute bleiben.
    Erst gegen acht Uhr klingelt es erneut an der Tür. Wieder die Hoffnung, wieder die Angst, wieder die Enttäuschung. Es ist die junge Beamtin, Schumachers rechte Hand. Mir fällt wieder auf, klein und zierlich sie ist. Sie hat tiefe Schatten um ihre geröteten Augen. Wie es scheint, hat auch sie in dieser Nacht nicht geschlafen.
    »Gibt es etwas Neues?«, will ich von ihr wissen.
    »Wir haben bei Sonnenaufgang damit begonnen, den Suchradius zu erweitern, und nehmen uns jetzt den Wald Richtung Offenbach vor«, sagt sie. »Außerdem befragen wir noch einmal die Angestellten des Supermarktes.«
    Ich nehme den Haustürschlüssel vom Haken und will mir

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