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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Brache, die sich wie die zugewachsene Trümmerlandschaft eines vergangenen Krieges bis zur Autobahnbrücke erstreckte. Vorsichtig stieg sie über die zerborstenen Fundamente der alten Fabrik und riss sich an der rostigen Armierung eines Betonpfeilers die Hose auf. Krähen erhoben sich in den Abendhimmel. Die Silhouetten der Wolkenkratzer bohrten sich wie kalte Finger in den Himmel. Sie stolperte zu den abbruchreifen Hallen am entgegengesetzten Ende des Geländes.
    Die Sonne ging unter, aber der volle Mond stand bereits hoch am Himmel, als sie die niedrigen Gebäude endlich erreichte. Die großen Tore waren verriegelt. An der Stirnseite, dort, wo sich früher einmal die Büros befunden haben mussten, war eine eiserne Tür, die irgendwann nachträglich eingebaut worden war. Man hatte ihr einen Riegel angeschweißt, der nun geöffnet war. Yvonne umklammerte den Türknauf mit ihrer Hand und zog vorsichtig. Die rostigen Scharniere kreischten auf. Yvonne verzog das Gesicht. Dann quetschte sie sich durch den engen Spalt.
    Auf dem Boden des Korridors lag der Putz der Decke, die teilweise nachgegeben hatte. Es war dunkel hier drinnen. Die Türen, die zu den Büros führten, waren alle verschlossen. Nur das spärliche Licht, das durch die Ritzen fiel, half ihr, sich einigermaßen zu orientieren. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wusste, dass es eigentlich ein Fehler war, alleine diesen Ort aufzusuchen.
    Eine zweite Tür versperrte ihr den Weg. Sie benutzte das Display ihres Handys als Leuchte und tastete nach der Klinke, drückte sie herunter, aber sie ließ sich nicht öffnen. Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch. Yvonne wirbelte herum. Hinter ihr stand ein Mann. Er hielt eine Taschenlampe in der Hand. Instinktiv riss Yvonne die Hände hoch, um sich gegen das blendende Licht zu schützen. Dann roch sie etwas wie Waschbenzin. Sie wollte schreien, als ihr ein feuchter Lappen auf Mund und Nase gedrückt wurde. Sie hustete und würgte. Dann verlor sie das Bewusstsein.
    Als sie erwachte, hörte sie das entfernte Dröhnen eines Motors. Sie hatte einen schrecklichen Geschmack im Mund, und ihr war schlecht. Schließlich gelang es ihr, die Augen zu öffnen.
    Vor ihr, im gebündelten Lichtkegel einer Halogenlampe, saß ein Mann gefesselt auf einem Stuhl. Über seinen Kopf war ein alter Kissenbezug gestülpt worden.
    Yvonne wollte aufstehen, als sie feststellte, dass auch sie gefesselt war und in einer Ecke kauerte. Ihr war noch immer schwindelig. Die Beine waren ihr eingeschlafen. Sie versuchte, sie auszustrecken, und stöhnte auf, als ihr das nicht gelang. Schwere Schritte näherten sich ihr. Eine zweite Lampe wurde eingeschaltet, und Yvonne kniff die Augen zusammen.
    Der Mann ging vor ihr in die Hocke und musterte sie eingehend. Es war der Mann, den sie in der Ambulanz gesehen hatte.
    »Sie wissen, wer ich bin?«
    Yvonne nickte. »Sie sind Fabian Steilberg.«
    Steilberg sagte nichts, sondern öffnete eine Wasserflasche und hielt sie an ihre Lippen. Yvonne trank, verschluckte sich hustend und schüttelte schließlich den Kopf.
    Steilberg zuckte mit den Schultern und schraubte den Verschluss wieder zu. »Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagte er. »Zwanzig Jahre ist es jetzt her, fast auf den Tag genau.« Er setzte die Brille ab und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß von der Stirn. »Es hat lange gedauert, bis bei mir der Groschen gefallen ist. Sie sind die Polizistin, die damals die Leiche meiner Tochter gefunden hat. Schumacher hat mir davon erzählt.«
    Yvonne antwortete nicht.
    »Sie haben sich ganz schön verändert, Frau März.«
    »So heiße ich nicht mehr, und den Polizeidienst habe ich schon lange aufgeben müssen.«
    »Oh, aber hoffentlich nicht Julias wegen.« Steilberg drehte die Lampe so, dass er sie besser in Augenschein nehmen konnte. Er fuhr ihr mit der Hand über den Kopf, Yvonne wich zurück. Steilberg lachte und schüttelte den Kopf. »Sie sehen schrecklich aus«, sagte er. »War das Leben nicht gut zu Ihnen?«
    Der Mann, der auf dem Stuhl gefesselt war, stöhnte, doch Steilberg ließ sich nicht davon stören. Er schien alle Zeit der Welt zu haben.
    »Ich weiß, was Sie vorhaben«, sagte sie.
    »Und was ändert das?«
    »Sie wollen Wieland Lenz töten. Man wird wissen, dass Sie es waren.«
    »Und was ändert das?«, wiederholte er die Frage. Steilberg stand auf und verschwand im Dunkeln. Er kam mit einem alten Werkzeugwagen zurück, nur dass auf ihnen keine Schraubenschlüssel

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