Lebensstrahlen
Glück fuhr er in der Rue St. Antoine vor.
Vom Fenster aus sah ihn Hartford zufällig aus dem Wagen steigen.
»Kelly kommt!« rief er Bigot zu. »Sie müssen ihn allein empfangen.« Er verschwand in einen Nebenraum.
Von dem livrierten Diener geleitet, trat Kelly in das Laboratorium. Höflich und geschmeidig wie immer empfing ihn Bigot.
»Sie haben lange nichts von sich hören lassen, Monsieur Bigot«, eröffnete Kelly das Gespräch.
»Ich habe inzwischen weitergearbeitet, und ich darf wohl sagen, mit Erfolg, aber ich wollte erst zu Ihnen kommen, wenn ich die überzeugenden Beweise auf den Tisch legen kann. Jetzt ist es soweit, Mister Kelly, in den nächsten Tagen wahrscheinlich schon hätte ich Sie aufgesucht.«
Kelly sah sich in dem Raum um. Eine neue Röhre fiel ihm auf. Er deutete auf eine Rohrleitung: »Was ist das, Monsieur Bigot?«
»Kathodenkühlung, Mister Kelly. Erst so ist es möglich, die Röhre voll auszunutzen und die Produktion zu erhöhen.«
»Haben Sie schon etwas produziert?« fragte Kelly.
Du würdest dich wundern, wenn du wüßtest, was wir schon geschafft und an den Mann gebracht haben! dachte Bigot. »Ich bin mitten in der Arbeit«, antwortete er. »Die neue Röhre lieferte das Gold zunächst in Form eines feinen, adhäsiven Pulvers. Vor zwei Tagen gelang es mir zum erstenmal, auch Massivgold mit ihr herzustellen.«
»Pulver oder massiv, es bleibt sich gleich, wenn es nur gutes Gold ist«, meinte Kelly. »Was haben Sie da, Monsieur Bigot?«
Er zeigte auf ein hölzernes Gestell, in dem mehrere mit goldigem Staub gefüllte Reagenzgläschen standen.
»Goldpulver, Mister Kelly! Es stammt von den ersten Versuchen mit der neuen Röhre.«
Kelly nahm eins der Gläschen aus dem Gestell.
»Man müßte es umschmelzen«, meinte er, während er es betrachtete.
»Unnötige Mühe, Mister Kelly. Auch in dieser Form ist es gut verwendbar.«
»Als Pulver, Monsieur Bigot? Kann ich mir nicht recht vorstellen.«
»Doch, Mister Kelly. Ich sagte bereits, daß es in adhäsiver Form aus der Röhre anfällt …«
»Adhäsiv? Was ist das?«
»Es bedeutet, daß die Körnchen schon unter einem mäßigen Druck zu massivem Gold zusammenbacken, eine Eigenschaft, die beispielsweise den Zahnärzten bei der Herstellung von Goldfüllungen erwünscht ist.«
Über Kellys Gesicht glitt ein Schimmer des Verstehens.
»Ach so! Sie meinen, ein Dentist würde Ihnen das hier sofort abkaufen, um Plomben daraus zu machen! Haben Sie es schon versucht?«
»Ich denke nicht daran, Mister Kelly«, wehrte Bigot ab. »Die Hauptsache ist mir jetzt, daß ich ungestört weiterarbeiten kann.
Wenn Sie wollen, zusammen mit Ihnen, Mister Kelly. Sonst …
Es werden sich auch andere finden, wenn ich sie überhaupt brauche.«
Die letzten Worte Bigots verschlugen Kelly die Sprache. So hatte er den Franzosen bisher noch nicht kennengelernt. Von Sekunde zu Sekunde verstärkte sich seine Überzeugung, daß der jetzt etwas wirklich Brauchbares geschaffen hatte und sich stark genug fühlte, es zur Not allein durchzusetzen.
»Sie können nach wie vor auf mich zählen, Monsieur Bigot«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Vergessen Sie nicht, daß ich bereits eine Voroption von Ihnen erworben habe.«
»Die Verhandlungen müßten den früher festgelegten Bedingungen entsprechend geführt werden.«
»Ich bin dazu bereit, Monsieur Bigot, sobald Sie mir die versprochenen Beweisstücke bringen.«
»Ich gedenke es schon in den nächsten Tagen zu tun, Mister Kelly.«
»Gut! Ich erwarte also demnächst Ihren Besuch.« Kelly machte Anstalten, sich zu verabschieden. Er wollte das Gläschen mit dem Goldpulver wieder in das Gestell stecken, als ihm ein anderer Gedanke kam.
»Das hier könnten Sie mir eigentlich mitgeben«, meinte er.
Erst nach kurzem Zögern antwortete Bigot: »Ich will es Ihnen geben, Mister Kelly. Aber ich muß dringend um Ihre Diskretion bitten.«
»Meine Hand darauf, Monsieur Bigot!« Kelly schob das Röhrchen in die Tasche und verabschiedete sich.
Kaum hatte er den Raum verlassen, als Hartford wieder auftauchte. »Diesmal haben Sie die Sache richtig gemacht, Bigot.
Den Amerikaner haben wir wieder fest.«
Während Kelly weiterfuhr, hing er dem Gedanken nach, der ihm in der Rue St. Antoine noch zuletzt beim Anblick des Röhrchens gekommen war. Für Plomben sollte das Goldpulver geeignet sein, hatte Bigot ihm versichert. Er war auf dem Wege zu seinem Zahnarzt, wollte sich ein paar Füllungen machen lassen. Eine gute
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